Seite - 156 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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6./7.10.1987: Gespräche Mocks mit Kohl und Genscher
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reichischen Aufbauleistungen nach dem Weltkrieg für ein großes Unrecht. Man
dürfe sich in der Fortsetzung des seit dem Staatsvertrag eingeschlagenen Weges
nicht beeinträchtigen lassen. Sofern es in diesem Bereich für ihn eine Handlungs-
möglichkeit gibt, ist er gerne bereit hilfreich zu sein.
Stabes vom 19. Juli bis 22. August 1943. Die Vorwürfe gingen soweit, er habe Einfluss auf die
Planung und Durchführung von Handlungen gegen die jüdische Bevölkerung in Saloniki
und am griechischen Festland gehabt. Daneben wurde sein Verschweigen des Kriegsdiensts
am Balkan 1942–1945 in der deutschsprachigen Version seines Buches „Im Glaspalast der
Weltpolitik“ gebrandmarkt, die als Memoiren betrachtet wurden. In einer Richtigstellung
versuchte Waldheim die Anschuldigungen von sich zu weisen, wobei der Vorwurf der „Kriegs-
verbrechen“ angesichts der untergeordneten Position eines ohne Befehlsgewalt ausgestatteten
Ordonnanzoffiziers im Range eines Oberleutnants Zweifel an der Seriosität seiner Kritiker
weckte. Die Bundesregierung zeigte sich bestürzt ob der Watchlist-Entscheidung, die sie als
inakzeptabel bezeichnete. Vranitzky, der sich aus Gründen des Koalitionserhalts (SPÖ-ÖVP)
hinter Waldheim stellte, bekräftigte diesen Standpunkt bei einem Besuch in USA. In einer
Verbalnote wurden die Anschuldigungen als unbewiesen bezeichnet und betont, dass der
Bundespräsident vom Volk in demokratischer Weise gewählt worden sei und gemäß der Ver-
fassung die Republik nach außen vertrete. Siehe dazu: Michael Gehler „… eine grotesk über-
zogene Dämonisierung eines Mannes…“ Die Waldheim-Affäre 1986–1992, in: idem / Hubert
Sickinger (Hg.), Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim,
Wien / Thaur / München 1995, 2. Auflage 1996, Nachdruck: Innsbruck / Wien / Bozen 2008,
S. 614–665. Für Kohls retrospektive Einschätzung zur „Affäre Waldheim“ siehe Tilman Jens
auf Basis der Interviews folgend: „Kohl aber nennt Waldheim, mit dem er sich regelmäßig
austauschte, wenn er am Wolfgangsee Ferien machte, einen ‚anständigen Mann, der viel zu
feige war, um unanständig zu sein‘. Er sei ein klassisches Opfer der Medien gewesen, dem
‚himmelschreiendes Unrecht‘ widerfuhr. […] Obwohl ‚kein Waldheim-Fan‘, scheint Kohl sich
wie ein Wahlverwandter zu fühlen: ‚Ich bin ein freier Bürger in einem freien Land. Ich muss
mich den Ausführungen dieser Waldheim-Gegner nicht fügen. Das sind ja die gleichen Leute,
die ohne jede Hemmung jede Denunziation betreiben, wenn es ihnen nützlich ist.‘ […] Kurt
Waldheim hat er letztlich den gleichen Rat erteilt: Er solle im ORF auf einen ‚mindestens ein-
stündigen Bericht zur besten Sendezeit‘ drängen. ‚Und dann erzählst du, wo dein Elternhaus
war, und dass es noch andere zehntausend Österreicher gab, die deutsche Offiziere waren. Und
du warst einer von ihnen. Du hattest zwar mit diesen Dingen direkt nichts zu tun gehabt, hast
aber natürlich genau gewusst, dass das der barbarischste Kriegsschauplatz im Westen war.
Es ist Schreckliches in Jugoslawien passiert, aber auch Schreckliches an deutschen Soldaten.
Und sage, es tut dir Leid!‘“ Heribert Schwan / Tilman Jens, Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle,
München 2014, S. 199–200. Siehe auch Kohls Äußerungen im Bundesvorstand der CDU am
22. April 1996: „Wir haben uns damals mit Themen beschäftigt, über die kein Mensch mehr
redet. Beispielsweise ging es darum, daß die Amerikaner den damaligen Präsidenten der Re-
publik Österreich sozusagen auf die Anklagebank gesetzt haben und wir Europäer versucht
haben, unseren österreichischen Freunden in dieser Auseinandersetzung zu helfen. Heute
kümmert das keinen Menschen mehr.“ Sowie am 9./10. Jänner 1998: „Das eine war das Ver-
halten der Amerikaner zum damaligen österreichischen Bundespräsident Waldheim. Ich war
nie ein Waldheim-Fan, aber was sie gemacht haben, ist unglaublich. Was in diesen Tagen an
Dokumenten veröffentlicht wurde, ist für einen Rechtsstaat unfaßlich.“ Beide Zitate aus: Gün-
ter Buchstab / Hans-Otto Kleinmann (Bearb.), Helmut Kohl. Berichte zur Lage 1989–1998. Der
Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands (= Forschungen
und Quellen zur Zeitgeschichte 64), Düsseldorf 2012, S. 746–747; 958.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99