Seite - 218 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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15.9.1988: Bericht Botschafter Wunderbaldinger
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Dok. 26
Da dies der erste Besuch von Károly Grósz in seiner Eigenschaft als General-
sekretär und Vorsitzender des Ministerrates war, wurde der ursprünglich mit
János Kádár vereinbarte Arbeitsbesuch in einen offiziellen Freundschaftsbesuch
umgewandelt.
Károly Grósz kam hauptsächlich in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der
USAP und nicht so sehr als Vorsitzender des Ministerrates. Dies ist auch der Zu-
sammensetzung seiner Begleitung zu ersehen: Miklós Németh, Mitglied des Polit-
büros des ZK der USAP und Sekretär des ZK, József Marjai, Mitglied des ZK der
USAP und Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Géza Kotái, Mitglied
des ZK der USAP und Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK,
László Major, Mitglied des ZK der USAP und Leiter des Büros des ZK der USAP.
Erich Honecker und Károly Grósz konnten zu Recht eine vollständige Über-
einstimmung in der Beurteilung der internationalen Lage feststellen. Honecker
betonte, dass sich dank der Bemühungen der sozialistischen Länder sowie auch
vernünftig und realistisch denkender Kräfte des Westens in den internationalen
Beziehungen schrittweise positive Tendenzen festigen. Waren früher die Kon-
frontation und deren Verschärfung bestimmend, so beginne sich nunmehr vie-
les zum Besseren zu wenden. Beide Seiten begrüßten die Wiederaufnahme des
amerikanisch-sowjetischen Dialoges und werteten die Vereinbarung über die Ab-
schaffung von Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite als eine historische Tat.
Honecker verwies erneut auf die Unterstützung der DDR, die strategischen
Offensivwaffen der beiden Großmächte bei strikter Einhaltung des ABM-Ver-
trages2 um 50 Prozent zu reduzieren, die Einstellung der Kernwaffenversuche,
das völlige Verbot und die Vernichtung der chemischen Waffen und den Abbau
der Streitkräfte und konventionellen Rüstungen vom Atlantik bis zum Ural zu
erreichen. Er sprach sich dafür aus, dass Verhandlungen über die konventionelle
Abrüstung noch im Jahre 1988 begonnen werden sollten.
Károly Grósz stellte zur Frage der konventionellen Abrüstung fest, dass Ungarn
daran interessiert ist, zu den Ländern zu gehören, die von den ersten Reduzierun-
gen betroffen sein werden.3
Mit Nachdruck wird die DDR ihre Ziele der Errichtung von kern- und chemie-
waffenfreien Zonen verfolgen.4 Ungarn habe wiederholt erklärt, sein Territorium
für eine solche Zone zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam mit den für Nord-
europa und für den Balkan vorgesehenen Zonen würde so in Europa ein zusam-
menhängendes kernwaffenfreies Gebiet in Nord-Süd-Richtung entstehen. Die
Bedeutung von kern- und chemiewaffenfreien Zonen habe sich in letzter Zeit
deutlich vergrößert.5 Schon vor einem Jahr rechnete man fest mit dem Abschluss
2 Zum ABM-Vertrag siehe Dok. 6, Anm. 10.
3 Dieser Absatz wurde vom Leiter der u. a. für Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und
Abrüstung zuständigen Leiter der Abteilung II.8 Gesandter Heinrich Gleissner am Seitenrand
handschriftlich markiert.
4 Diese Unterstreichung wurde ebenfalls von Gleissner vorgenommen.
5 Dieser Satz wurde ebenfalls von Gleissner am Seitenrand handschriftlich markiert und mit
einem Rufzeichen versehen.
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Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99