Seite - 232 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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23.11.1988: Bericht Botschafter Wunderbaldinger
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Dok. 31
Voll unterschreiben kann man die in der Gemeinsamen Pressemitteilung3 zum
Ausdruck gebrachte übereinstimmende Auffassung zu den Hauptfragen des „in-
ternationalen Lebens“. Beide Seiten sagten sich wechselseitig die Unterstützung
ihrer Bemühungen um die Schaffung waffenfreier (Chemie, Atom) Zonen zu.
Übereinstimmend forderten sie auch den raschestmöglichen Abschluss des Wie-
ner Treffens mit einem ausgewogenen und substantiellen Dokument. Sie sprachen
sich des weiteren für die Einberufung einer internationalen Konferenz im Rah-
men der UNO aus, um die Probleme der Unterentwicklung und der Schaffung
einer neuen Weltwirtschaftsordnung zu betreiben.
In der Darstellung der Erfolge des Sozialismus im jeweiligen Land brachten
die beiden Staatsführer nur Positives vor. Erich Honecker vermerkte mit Stolz,
dass sich die sozialistische Umgestaltung in der DDR während ihrer fast 40-jäh-
rigen Existenz als ein Prozess tiefgreifender Wandlungen vollziehe, der selbst-
verständlich nicht abgeschlossen sei, sondern weitergehe. An die Adresse seines
Gastes richtete er die artigen Worte, dass er sich von der fruchtbaren und schöp-
ferischen Arbeit des rumänischen Volkes beim Aufbau des Sozialismus während
seines Aufenthaltes in Rumänien überzeugen konnte. Ziemlich deutlich grenzten
sich beide Staatsführer in der Frage der Entwicklung des Sozialismus von Mos-
kau ab und betonten die eigenständigen Entwicklungen. Honecker: Gestaltung
der entwickelten sozialistischen Gesellschaft gemäß den nationalen Bedingun-
gen. Ceaușescu: Der Sozialismus entwickelte sich in jedem Land unter anderen
Bedingungen.
Die rumänische Seite sah in diesem Besuch vor allem wirtschaftliche Fragen
im Vordergrund. Sie wünscht eine Steigerung des Warenaustausches innerhalb
eines Jahres in der Größenordnung von 10 bis 20 %. Der hiesige rumänische Kol-
lege ist jedoch Realist genug festzustellen, dass dies nicht möglich sein werde.
Die DDR habe Schwierigkeiten, ihre Lieferverpflichtungen in die Sowjetunion
und in den Westen einzuhalten. Schon eine geringfügige Erhöhung wäre daher
ein Erfolg. Man müsse aber davon ausgehen, dass im Wirtschaftsaustausch eine
Stagnation eintreten werde. Die DDR-Seite hat die Qualität rumänischer techni-
scher Erzeugnisse bemängelt.
Zur Zeit gibt es etwa 40.000 in Gruppen organisierte DDR-Bürger, die Rumä-
nien als Touristen besuchen. Rumänien hätte genug Kapazität, um bis zu 100.000
Reisende aufzunehmen. Die DDR-Seite wäre jedoch nicht in der Lage, die touri-
stischen Dienstleistungen Rumäniens durch erhöhte Warenlieferung auszuglei-
chen. Mit einer Steigerung auf 45.000 bis 50.000 Touristen könne jedoch gerech-
net werden.
Schon seit Bekanntwerden des Besuches von Nicolae Ceaușescu in Berlin kam
es zu Unmutsäußerungen. Friedens- und Menschenrechtsgruppen haben auf die
Verletzung der Grundrechte sowie auf die katastrophale Versorgungslage in Ru-
mänien als Folge einer verfehlten Politik hingewiesen. Darüber hinaus zeigte
3 Gemeinsame Pressemitteilung, in: Neues Deutschland, 18. November 1988, S. 1–2.
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Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99