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25.8.1989: Bericht Gesandter Loibl
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Dok. 50
die meisten DDR-Bürger um den l. September (Schulbeginn) für oder gegen eine
Rückkehr in die DDR entscheiden werden, bis dahin würden die Zahlen tenden-
ziell anwachsen.
Für sie gebe es keine festen Lösungsperspektiven; das AA stellt sich auf ein län-
ger andauerndes, schrittweises Suchen in Richtung einer noch nicht sichtbaren
endgültigen Lösung ein (der Aufenthalt der DDR-Deutschen in Ungarn ist unter-
dessen legalisiert und für ihre Unterbringung gesorgt).
Bonn bemüht sich unter anderem, den UNHCR als „Puffer“ zwischen Ungarn
und der BRD einzuschalten, damit Budapest gegenüber Ost-Berlin nicht zu sehr
„BRD-hörig“ erscheint, und zur möglichst raschen Eröffnung eines Büros oder
wenigstens zur möglichst baldigen Entsendung einer Sondermission nach Buda-
pest zu bewegen. Außerdem drängt Bonn auf rasche Einführung eines formalen
ungarischen Flüchtlings-Anerkennungsverfahrens. Budapest beabsichtigt aller-
dings, den Flüchtlingsbegriff so auszulegen, dass nicht Flüchtling sein kann, wer
mit Zustimmung der DDR die DDR verlassen hat (Budapest meint, die deutsche
Frage könne nicht in Ungarn gelöst werden).
Dagegen wendet Bonn ein, dass
1. es Fälle gibt, wo Ausreiseanträge in der DDR abgelehnt, jedoch ein Besuch in
Ungarn erlaubt wurde
2. die DDR-Zusicherung der Straffreiheit nur für die Festsetzung gilt, nicht jedoch
z. B. für Fluchtversuche, ungesetzliche Verbindungsaufnahme, Entgegennahme
eines bundesdeutschen Passes usw.
3. rumänische Staatsangehörige ungarischer Nationalität, die auf Besuchsreise
nach Ungarn abspringen, in einem der drei Lager in Ungarn Aufnahme finden
und als Flüchtlinge behandelt werden.
Das AA verkennt dabei nicht, dass Ungarn in der Klemme zwischen bilateralen
Verpflichtungen gegenüber der DDR (und aus der Mitgliedschaft im WP) und sei-
ner eigenen Reform- und Öffnungspolitik gegenüber dem Westen steckt.
II. DDR: Das eingeschränkte Mandat von RA Vogel8 (Straffreiheit nur für Fest-
setzung, nicht z. B. für Fluchtversuch usw.) wie auch die Aussicht auf Verlust der
gesellschaftlichen Stellung (und des Arbeitsplatzes, keine Studienmöglichkeit für
die Kinder, Ausscheidung aus dem Reisekader usw.) machten es fast unmöglich,
die Zufluchtssuchenden aus der Ständigen Vertretung „hinauszureden“ (1984 hatte
es dagegen noch die Zusicherung der Antragsüberprüfung mit positiver Tendenz
gegeben!).9
Die DDR wolle die Beziehungen zur Bundesrepublik zwar nicht belasten, halte
jedoch daran fest, dass die Ständige Vertretung keine Zuflucht gewähren dürfe
8 Wolfgang Vogel, Rechtsanwalt, 1989 Vermittler bei den Besetzungen der Botschaften in Prag,
Budapest und Warschau, siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
9 Siehe dazu generell Dok. 1, Anm. 31.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99