Seite - 676 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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27.8.1990: Bericht Gesandter Kloss
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Dok. 167
leichterung aufgenommen worden, sondern stellt nunmehr auch außenpolitisch
die von AM Genscher stets geforderte „logische Sequenz“ von Einigung der 2+4
vor deutscher Vereinigung sicher. Bemühungen, im Hinblick auf die katastro-
phale Lage der DDR den Beitritt noch vor Abschluss der äußeren Aspekte sofort
–
wie es hier geheißen hat „im freien Fall“ – zu vollziehen, hatte im AA in letzter
Zeit für gewisse Unruhe gesorgt.
Außenpolitisch steht die BRD nunmehr bis zum 3. Oktober vor der Aufgabe,
in einem höchst intensiven Geflecht von Verhandlungen sowohl die 2+4-Verein-
barung abzuschließen als auch damit unmittelbar zusammenhängende Verträge
mit der SU auszuhandeln. Lt. AA kann diesbezüglich Stand der Dinge wie folgt
skizziert werden:
1. 2+4-Verhandlungen: Bei allen Beteiligten herrsche Einvernehmen darüber, die
Verhandlungen bei nächstem AM-Treffen in Moskau am 12. September4 d. J. ab-
zuschließen. Es sei Wunsch der SU, möglichst auch schon in Moskau zu un-
terzeichnen (Westalliierte hätten an sich keine Probleme damit, BRD sei daher
geneigt – trotz anfänglicher Bedenken wegen „Optik“ – zuzustimmen). Nach
Treffen Genscher-Schewardnadse vom 17. August d. J.5 sei v. a. noch Frage der
„Suspendierung“ der Rechte der Alliierten bis zum völkerrechtlichen Inkraft-
treten der 2+4-Vereinbarung offen. Während Westalliierte zu derartiger Suspen-
dierung ab Datum der Unterzeichnung – zwecks sofortiger Beendigung der alli-
ierten Rechte bei deutscher Vereinigung
– bereit wären, habe Schewardnadse mit
dem Argument nicht zugestimmt, die Aufgabe der sowjetischen Rechte müsste
dem eigentlichen Ratifikationsvorgang durch den Obersten Sowjet vorbehalten
bleiben (Oberster Sowjet würde jedoch rasch ratifizieren!).6 Lt. AA sei zu hoffen,
dass SU in dieser Frage bis zum 12. September noch einlenken werde
– ansonsten
würde der neue deutsche Staat nach seiner Vereinigung bis zur Ratifikation der
2+4-Vereinbarung doch noch mit einer beschränkten Souveränität belastet sein.
In der Substanz entspreche der in Moskau präsentierte sowjetische 2+4-Ver-
tragsentwurf dem soweit erreichten Konsens, enthalte teils aber auch Forderun-
gen, die im 2+4-Rahmen nicht berücksichtigt werden könnten (z. B. Bestandsga-
rantie für Verträge SU-DDR, deutsche Verpflichtung zur Erhaltung sowjetischer
Kriegsdenkmäler in DDR). Für die Endredaktion des Abkommens (westlicher
4 Die Unterstreichung wurde auch am Seitenrand handschriftlich markiert. Auf der vierten
2+4-Außenministerkonferenz am 12. September 1990 in Moskau wurde der „Vertrag über die
abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ unterzeichnet. Siehe Dok. 170–172.
5 Siehe dazu die Aufzeichnung des Dolmetschers Hartmann vom 17. August 1990 über das Vier-
Augen-Gespräch von Bundesaußenminister Genscher mit dem sowjetischen Außenminister
Ševardnadze am 17. August 1990 in Moskau (= Dokument 41) sowie den Vermerk des Leiters
des Referats 213, Neubert, vom 18. August 1990 über das Delegationsgespräch von Bundes-
außenminister Genscher mit dem sowjetischen Außenminister Ševardnadze am 17. August
1990 in Moskau (=
Dokument 42), in: Diplomatie für die deutsche Einheit, S. 222–227, S. 227–
240. Vermerk des Referats 213, 18. August 1990 (=
Dokument 140), in: Die Einheit, S. 656–662.
6 Die Ratifizierung durch den Obersten Sowjet erfolgte am 15. März 1991.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99