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1.10.1990: Bericht Botschafter Schallenberg
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Dok. 175
2) Gespräch mit Präsident Mitterrand
2.1. Golfkrise
HBK: Österreich trägt den Boykott voll mit und erteilte Überflugsgenehmigungen
für Flugzeuge der USA und Großbritanniens. Dies ist mit unserer Neutralitäts-
politik vereinbar. Die Neutralität lässt einen größeren Spielraum in den inter-
nationalen Beziehungen. Österreich verfolge die Vorschläge des Präsidenten mit
großem Interesse. Anwendung von Waffengewalt wäre äußerst problematisch
und sollte nur ein letzter Schritt sein.
Mitterrand: Die Entwicklung hänge vom Erfolg des Embargos ab. Wenn das
Embargo in absehbarer Zeit Erfolg hat, könnte die Entwicklung in gewünschtem
Sinne gehen. Wenn dies nicht der Fall sei, könne ein Krieg nur schwer vermieden
werden, außer Saddam Hussein werde flexibler.13 Er sei jedoch ein irrationaler,
gefährlicher Mensch. Wenn das Embargo einen Krieg vermeiden soll, wird es
voraussichtlich einige Monate dauern müssen. Es stellt sich die Frage, ob bei den
Beteiligten hiefür genügend Geduld gegeben sei. Die Lage sei jedenfalls sehr ernst.
Frankreich sei völlig solidarisch mit den Entscheidungen der UNO. Erst wenn Irak
seine Absicht des Rückzugs aus Kuwait erklärt und die Geiseln – es gebe davon
7000 bis 8000
– freilasse, könne man anfangen, zu hoffen. Diese seine Vorstellun-
gen seien für die USA offenbar zu diplomatisch gewesen. Es sei eine Verhärtung
auf beiden Seiten festzustellen. Frankreich habe immer die gleiche Haltung ein-
genommen. Man müsse bedenken, dass Frankreich mehr Soldaten in die Region
entsandt habe als Großbritannien. Es herrsche allgemein eine Kriegsstimmung.
Wichtig sei, den Vereinten Nationen die führende Rolle zu geben.
Beide Gesprächspartner stimmten überein, dass zwar gegenwärtig praktisch
alle Staaten das Embargo mittragen, das jedoch bei kriegerischen Auseinander-
setzungen und den ersten Toten die Stimmung umschlagen könnte.
2.2. Europäische Integration
HBK betonte Österreichs Beitrittswillen. Es wäre wichtig, dass in überschaubarer
Zeit ein Verhandlungsmandat von Brüssel erteilt werde. Die Jahreswende 1992/93
müsste spätestens für die Verhandlungen ins Auge gefasst werden. Österreich sei
ab sofort bereit, an der Währungsunion teilzunehmen und so eine Vorleistung zu
erbringen. Ferner sei eine Steuerreform ab Anfang 1991 vorgesehen, die vor al-
lem hinsichtlich der Mehrwertsteuer Österreich einer EG-Konformität annähern
soll. Österreich strebe den Beitritt nicht nur aus wirtschaftlichen Erwägungen
an. Es würde einen konstruktiven Beitrag zur europäischen Integration leisten,
es möchte und werde ein guter Partner sein.
In diesem Zusammenhang stelle sich auch die Frage der deutschen Vereini-
gung. Man könne sicher sein, dass Österreichs Identität und Österreichs Poli-
tik vollkommen autonom sein werden. Das EG-Mitglied Deutschland werde uns
nicht näher oder ferner stehen als andere EG-Mitglieder. Schließlich dankte der
13 Diese Passage wurde am Seitenrand handschriftlich markiert.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99