Seite - 703 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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1.10.1990: Bericht Botschafter Schallenberg Dok. 175
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HBK für die grundsätzlich positive Einstellung des Präsidenten und der französi-
schen Regierung gegenüber Österreichs Beitrittswunsch.
Mitterrand: Diese Frage könne nicht vor 1993 behandelt werden. Die EG habe
viele Probleme zu lösen.
Die Wirtschafts- und Währungsunion beginne unter schwierigen Vorzeichen.
Die politische Union bleibe vorderhand ein vager Begriff. Auch die vollständige
Realisierung des Binnenmarktes sei noch nicht durchgeführt.
Er sehe jedoch keine Einwände dagegen, dass die EG-Kommission schon vor-
her die österreichische Kandidatur prüfe. Es gebe jedoch kein Aufgreifen von
Kandidaturen vor Fertigstellung des Binnenmarktes.
Durch Geschichte, Geographie und sein Wesen („nature“) sei Österreich ge-
nauso europäisch wie alle anderen EG-Mitglieder. Es sei sicherlich nicht normal,
dass Österreich nicht bei der EG sei. Es gebe keine Argumente gegen einen EG-
Beitritt Österreichs, keine Argumente, die spezifisch Österreich betreffen. Das
Problem sei nicht das „ob“. Eines Tages werde Österreich Mitglied sein, aber si-
cher nicht vor 1993. Österreich werde wohl keine besonderen Probleme bieten.
Die Gemeinschaft sei jedoch derzeit voll mit sich selbst beschäftigt. Es bestehen
Divergenzen mit Großbritannien und Dänemark über die Finalitäten.
Bundeskanzler: Österreich habe Verständnis für die Terminvorstellungen.
Vorbereitungsarbeiten auf Beamten- bzw. Expertenebene würden jedoch ein Mo-
mentum zum Ausdruck bringen, ohne den Zeitfaktor zu ändern.14
Mitterrand: Dagegen sehe er keine Einwände.
Auf die Frage des HBK erklärte Mitterrand, dass es schwer sei zu sagen, ob es
heute innerhalb der EG weniger Widerstände gegen die interne Integration gebe
als vorher. Frau Guigou bezeichnete die Situation als jeweils sehr verschieden.
Mitterrand: Je näher man zum Ziel kommt, desto größer werden die Hinder-
nisse. So sei man Ende 1990 der Währungsunion nicht näher gerückt, als man es
Anfang des Jahres war. Es gebe Widerstände aus Wirtschafts- und Finanzkreisen
Deutschlands. Es gebe eine Diskussion innerhalb Deutschlands, obwohl BK Kohl
positiven politischen Willen zeige. Großbritannien sei ebenfalls ablehnend einge-
stellt. Allerdings gab er dem HBK Recht, der sagte, dass Großbritannien nach an-
fänglicher Ablehnung erfahrungsgemäß oft beschlossenen Lösungen zustimmt.
2.3. KSZE.
Mitterrand: Wie immer gebe es auch hier Schwierigkeiten im letzten Moment. Die
USA haben wissen lassen, sie seien zu der Gipfelkonferenz am 19. November nur
bereit, wenn Einigung über den Vertrag betreffend konventionelle Abrüstung15
erzielt werden kann. Wahrscheinlich wollten die USA mit dieser Haltung die
14 Dieser Absatz wurde im BMAA am Seitenrand handschriftlich markiert.
15 Auf der Pariser KSZE-Gipfelkonferenz vom 19. bis 21. November 1990 wurde nach erfolgter
Einigung im Vorfeld der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag)
am 19. November unterzeichnet. Siehe dazu bereits Dok. 20, Anm. 10. Zum Vertragstext siehe:
20 Jahre KSZE 1973–1993, S. 369–392.
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Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99