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9.10.1990: Bericht Generalkonsulin Matzner-Holzner Dok. 177
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Dok. 177: Bericht. Der Tag der deutschen Einheit und danach, 9.10.1990
Generalkonsulin Gabriele Matzner-Holzner an BMAA, Berlin, 9. Oktober 1990, Zl. 302-RES/90, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol
1990, GZ. 22.03.00/28-II.1/901
Der Tag der deutschen Einheit und danach; ein Stimmungsbild
Das Fest der deutschen Einheit gestaltete sich als nationaler Familienspazier-
gang entlang der Festmeile zwischen Brandenburger Tor, Unter den Linden und
Alexanderplatz. Die wiedervereinten Deutschen begingen ihr Fest in Würde, mit
Disziplin und weitgehend ohne nationale Euphorie. Die vielfach angekündigten
Krawalle blieben mit Ausnahme einer kleineren Straßenschlacht am Alexander-
platz am späten Nachmittag des 3. Oktober aus. Ohne die vielen, den Polizeiein-
satz störenden Schaulustigen, hätte die Westberliner Polizei, die aus Sicherheits-
gründen bereits ein paar Tage vor der Einheit das Kommando übernommen hatte,
auch diese Ausschreitungen schneller unter Kontrolle gebracht.
Trotz der politischen Bedeutung des Ereignisses für Europa und darüber hin-
aus, blieb das Fest nach Ankündigung der Alliierten, nicht auf höchster Ebene
präsent sein zu können, ein nach innen gerichtetes Fest. Die Deutschen zeigten
sich im positiven Sinne mit sich selbst beschäftigt. Lediglich die Botschaft Bun-
deskanzler Kohls an die Regierungen der Welt und einige Passagen der Rede von
Bundespräsident Weizsäcker beim Staatsakt in der Berliner Philharmonie erin-
nerten an die weltpolitische Bedeutung des Ereignisses und die damit verbundene
Verantwortung Deutschlands.
Berlin, jene Stadt, die wie keine andere unter der Teilung Deutschlands zu lei-
den hatte, und die wie keine andere sowohl Brennpunkt der Nachkriegsordnung
Europas war als auch der sich nun herausbildenden europäischen Ordnung sein
wird, hat unter Beweis stellen können, daß es fähig ist, Hauptstadtfunktionen
wahrzunehmen. Der im großen und ganzen würdevolle Ablauf der Feierlichkei-
ten hat Berlins Aussichten, auch Regierungssitz zu werden, zumindest nicht ge-
schmälert. Der gediegene Rahmen, den das Reichstagsgebäude für die erste Sit-
zung des gesamtdeutschen Parlaments bot, wurde positiv vermerkt.
Indessen ist in Berlin wieder der Alltag eingekehrt. Trotz der – wie mehrfach
berichtet – zahlreichen anstehenden Probleme gestaltet sich auch dieser ruhig.
Obwohl der 3. Oktober das berufliche Ende für den Großteil der ca. 200.000 ehe-
maligen Staatsbediensteten der DDR bedeutete, sind bislang keine nennenswer-
ten Protestaktionen zu verzeichnen, abgesehen von im privaten Gespräch nicht
zu verbergender persönlicher Frustration von ehemaligen Amtsinhabern. Der
Übergang wird – sofern die Freisetzung nicht schon früher erfolgte – durch die
1 Der von Sachbearbeiter Konsul Werner Brandstetter verfasste Bericht war an die Sektion II
des BMAA gerichtet. Dort wurde er vom Leiter der Abteilung II.1 Gesandten Johann Plattner
am 15. Oktober 1990 in Bearbeitung genommen und an die österreichische Botschaft Bonn
weitergeleitet.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99