Seite - 710 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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18.10.1990: Gespräch Mock – Schewardnadse
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Dok. 178
Österreich wolle hier nicht diskriminiert werden. Die Bundesregierung habe die
Angelegenheit sorgsam geprüft und wolle sie in nächster Zeit so regeln, daß keine
Verstimmung der Vertragspartner entstehe und die Berechenbarkeit unseres in-
ternationalen Verhaltens nicht in Frage gestellt werde.4
sachlich nicht mehr gilt. Indem sie dies feststellt, betont die finnische Regierung zugleich, daß
der wesentliche Inhalt des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen
Beistand auch unter den veränderten Verhältnissen seine Bedeutung bewahrt hat. Dies bedeu-
tet, daß Finnland es nicht zulassen wird, sein Gebiet für einen Angriff gegen die Sowjetunion
zu verwenden. Der Vertrag entspricht als solcher nach wie vor den finnischen Sicherheitsinte-
ressen.“ Zu den „Deutschland betreffenden Bestimmungen des Pariser Friedensvertrags und
die Beschränkungen der finnischen Souveränität“ hatte die finnische Regierung beschlos-
sen: „Die Deutschland betreffenden Bestimmungen sind im Teil III des Vertrages enthalten.
Ihnen zufolge war es Finnland untersagt Kriegsmaterial oder Zivilflugzeuge deutschen Ur-
sprungs oder deutschen Modells zu beschaffen oder herzustellen. Finnland wurde außerdem
verpflichtet, an der Zusammenarbeit zur Verhinderung der deutschen Wiederbewaffnung
teilzunehmen. Die Vereinigung Deutschlands am 3.10.1990 schafft eine Situation in der die
Deutschland betreffenden Bestimmungen des Friedensvertrags ihre Bedeutung verlieren. Im
Friedensvertrag (Artikel 10) verpflichtet sich Finnland die ‚volle Verbindlichkeit der anderen
Verträge und Regelungen anzuerkennen, die die Alliierten und assoziierten Mächte im Hin-
blick auf Deutschland zur Wiederherstellung des Friedens geschlossen haben oder schließen
werden‘. Als Resultat der zwischen den beiden deutschen Staaten und den Siegermächten des
Zweiten Weltkriegs geführten 2+4-Verhandlungen wird Deutschland von allen Beschränkun-
gen seiner Souveränität befreit. Unter diesen Umständen entfallen auch die letzten Grund-
lagen für die Einschränkung der Souveränität Finnlands durch die Deutschland betreffenden
Bestimmungen des Pariser Friedensvertrags. Teil III des Friedensvertrags enthält auch andere
die Souveränität Finnlands einschränkende Bestimmungen. Dazu gehören quantitative und
qualitative Beschränkungen der Land-, See- und Luftstreitkräfte. Faktisch haben diese Be-
schränkungen ihre Bedeutung weitgehend verloren. Von diesen Beschränkungen ist keine
wesentliche Behinderung der Entwicklung der finnischen Verteidigungkräfte ausgegangen.
Behindert wurde die Entwicklung der finnischen Verteidigungskräfte hingegen durch das
Verbot, deutsches Kriegsmaterial anzuschaffen (Artikel 19). In der Praxis hat sich bei der
Auslegung der Bestimmungen von Teil III eine im wesentlichen liberale Linie durchgesetzt.
Zum Beispiel herrscht die Auffassung, daß der Friedensvertrag Vorbereitungen für eine Mo-
bilmachung nicht verhindert hätte. Dagegen sind die Bestimmungen des Teils III nicht mit
dem Status vereinbar, den Finnland als selbständiger und souveräner Staat besitzt, als Staat,
der Mitglied der UNO ist und der an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa teilnimmt. […] Die militärisch beschränkenden Bestimmungen der Friedensverträge
entstanden in einer Zeit, in der man die Wiederbewaffnung Deutschlands, seiner ehemaligen
Verbündeten und anderer Länder, die mit Deutschland zusammengearbeitet hatten, verhin-
dern wollte. Die Friedensverträge wurden jedoch während des Kalten Krieges zu einem Be-
standteil des Kräftegleichgewichts-Systems. Die gründliche Veränderung der Lage in Europa
ermöglicht es, daß diese die Souveränität beschränkenden Bestimmungen auch im Falle
Finnlands als veraltet anerkannt werden. […] In ihrem Beschluß betont die Regierung, daß
ihre Feststellung, nach der die Bestimmungen des Teils III des Friedensvertrags ihre Bedeu-
tung verloren haben, nichts an den Grundlagen der finnischen Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik ändert.“ Siehe: „Eine Zeit, die endgültig vorbei ist“, in: Die Presse, 25. September
1990, S. 4.
4 Siehe dazu Dok. 179.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99