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102 amerikanischen Stellen mit Vorgaben aber weitgehend zurückhielten und nur die
Proposals bewerteten, hatte die Fulbright Commission einen recht breiten Inter-
pretationsraum. In einem ersten Versuch in Reaktion auf die Einforderung von
Social Sciences und American Studies machte die Kommission 1952 einen vor-
sichtig taxativen Vorschlag:
„In its answer the Commission agreed with the proposal. It was felt that
American lecturers and scholars would be welcomed and would find an
opportunity for rewarding work especially in the following fields: Eco-
nomics, Education, Comparative Law, Political Science, Psychology, Social
Work, and Sociology.“11
Doch den amerikanischen Stellen ging es um mehr als nur die Aufzählung einzel-
ner Felder. Was waren überhaupt Social Sciences und American Studies? Wo an
den 14 Partnerinstitutionen konnten entsprechende Projekte angesiedelt werden?
Und wie war die damit maßgeblich verknüpfte Kategorie der US-Visiting Lecturers
fruchtbar zu machen? Das Problem der Kommission in Wien war, eine inhaltliche
Bestimmung vorzunehmen, die den Erwartungen der amerikanischen Stellen ent-
sprach und zugleich eine realistische Chance zur Verwirklichung an den österrei-
chischen Hochschulen und Universitäten hatte. Das war schwierig, eröffnete aber
auch Handlungsspielraum.
Die Akten der Fulbright Commission bieten Einblick in den über Jahre rei-
chenden Ausverhandlungsprozess, in dem spezifische Ensembles wissenschaft-
licher Praktiken transferiert, zugeordnet und institutionalisiert wurden. Anläss-
lich der jährlichen konkreten Ausgestaltung eines Proposal stand regelmäßig die
Beschreibung von Projekten an. Betrachten wir die Program Proposals über die
zwölf Jahre des Untersuchungszeitraums, so fällt auf, dass Social Sciences rasch
in den Vordergrund rückten. Von der Mitte (ab dem Proposal 1955/56) bis zum
Ende des Zeitraums wurden dann aber sowohl ihre Erwähnung als auch die
Zuordnung einzelner Projekte in den Proposals wieder weniger, ohne freilich
ganz zu verschwinden. Mehr und mehr rückten dagegen American Studies in den
Mittelpunkt. Zweifelsohne lässt sich diese Entwicklung auch mit der anfänglichen
Forderung der amerikanischen Stellen und den dann erfahrenen Realisierungs-
problemen der Projekte, die unter Social Sciences firmierten, erklären – die im
Gegensatz dazu erfolgreicheren Projekte der American Studies wurden entspre-
chend stärker forciert.
Auffällig ist aber, dass gleich- bzw. ähnlich lautende Projekte, die in den ersten
Jahren unter Social Sciences eingeordnet wurden, später unter American Studies
zu finden waren. Das zeigt einen Wandel im Verhältnis von begrifflicher Defini-
tion und Ausführung des Fulbright Program an. Für die zweite Hälfte des Unter-
suchungszeitraums lassen sich verstärkt Initiativen aus den Hochschulen feststel-
len, sozialwissenschaftliche bzw. amerikanistische Kompetenz nach Österreich zu
holen.12
Das bloße Zählen der Erwähnungen von Social Sciences bzw. American Stu-
dies in den Proposals reicht also nicht, um deren Gehalt, Bedeutung und Wandel
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Subtitle
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Author
- Thomas König
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Size
- 15.8 x 23.9 cm
- Pages
- 190
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117