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Paläografische Analyse xix
spielsweise noch, dass Steyrecker einen (italienischen) Schreiber an die Fakultät mitgebracht
hatte, der mit der humanistischen Schrift vertraut war. Zwischen den Einträgen dieser Hand,
also im Zeitraum von 1479 bis 1492, sind unterschiedliche, teils noch stark gotisch orien-
tierte Schriften nachweisbar. Jedoch ist die Tendenz erkennbar, dass kein Schreiber mehr
durchgehend die Matrikel führte. In den folgenden Semestern erscheinen die unterschied-
lichsten Hände in der Quelle, meist nur für ein Semester, mitunter aber auch für mehrere;
gotische und humanistische Einflüsse wechseln sich ab; vom Schriftbild her handelt es sich
um eine Zeit des Umbruchs. Die Frage, wer zu diesem Zeitpunkt die Matrikel führte, muss
auch hier unbeantwortet bleiben.
Eine ähnliche Problematik wie Steyrecker wirft eine Schrift des Jahres 1474 auf. Ein
und dieselbe Hand ist sowohl im Sommer- als auch im Wintersemester 1474 zu finden81,
obwohl zwei unterschiedliche Personen die Funktion des Dekans innehatten. Im Winter
stand Wolfgang von Herzogenburg der Fakultät vor, im Sommer Jodocus Hausner aus
Neumarkt. Hausner war auch Rektor der Wiener Universität, und interessanterweise lässt
sich die Schrift von 1474 I auch in den Rektoratsakten82 finden, und zwar im Semester
1472 I, just zu dem Zeitpunkt, als Hausner Rektor war. Soweit wäre dieser Sachverhalt
in sich stimmig, wenn nicht in der Juristenmatrikel dieselbe Hand auch im Dekanat des
Wolfgang von Herzogenburg aufscheinen würde. Zu lösen ist die Frage mittels des vor-
handenen Quellenmaterials nicht, denkbar wäre jedoch, dass ein Schreiber sowohl für
den Rektor als auch für die Juristenfakultät tätig war, da Hausner wohl nicht für Wolf-
gang von Herzogenburg die Matrikel geführt haben wird.
Anders ist die Situation im folgenden Beispiel: Im Wintersemester 1505 war Martin
Kapp (latinisiert Capinius), genannt Siebenbürger, Dekan der Juristenfakultät. Er war un-
ter anderem 1521 Wiener Bürgermeister und auch Anführer des ständischen Widerstands
der niederösterreichischen Erbländer gegen den neuen Landesfürsten Ferdinand I. 1522
wurde Siebenbürger als einer der Beteiligten des Aufstandes beim sogenannten „Wiener
Neustädter Blutgericht“ hingerichtet83. Martin Kapp stammte aus Hermannstadt (Sibiu)
im damals ungarischen Siebenbürgen, weshalb er im Wintersemester 1496 auch als Ma-
gister Martinus ex Cibinio genannt wird84. Der nächste Eintrag zu Siebenbürger findet
sich im Sommer 1505, hier als Dominus Martinus Capinius ex Cibinio arcium et sacri iuris
pontificii doctor85, und zwar in seiner Funktion als Dekan der Fakultät. Der juridischen
Fakultät stand er noch zweimal, 151086 und 151687, vor. Hier liegt also das Beispiel eines
Dekans vor, der dreimal die Fakultät leitete. Jedes Mal erscheint dabei dieselbe prägnante
Hand in der Matrikel. Damit könnte der Schluss gezogen werden, dass es sich hier um die
Schrift des Bürgermeisters Siebenbürger handelt, wenngleich für eine endgültige Aussage
noch Vergleichsquellen hinzugezogen werden müssen.
81 UAW, MFJ II, fol. 23v–24r.
82 UAW, AR II, fol. 171r–171v (1472 I).
83 Martin Siebenbürger, der ursprünglich die gerichtliche Klärung der Vorgänge um die Einsetzung des
oppositionellen Regiments befürwortet hatte, wurde im August 1522 neben zwei Adeligen und fünf
Bürgern enthauptet. Grundlegend dazu: Perger, Wiener Bürgermeister, 25–44 und Perger, Wiener
Rat, 135–168. Eine der Hauptquellen zum „Wiener Neustädter Blutgericht“ sind die Erinnerungen
des Wiener Bürgermeisters Wolfgang Kirchhofer: Kirchhofer, Erinnerungen, 13–27. Zu Kirchhofer:
Tersch, Selbstzeugnisse, 172–179.
84 UAW, MFJ II, fol. 39v (1496 II).
85 UAW, MFJ II, fol. 47v (1505 I).
86 UAW, MFJ II, fol. 51r.
87 UAW, MFJ II, fol. 57r.
Die Matrikel der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät
Matricula Facultatis Juristarum Studii Wiennensis, Volume II:1442–1557
- Title
- Die Matrikel der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät
- Subtitle
- Matricula Facultatis Juristarum Studii Wiennensis
- Volume
- II:1442–1557
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20255-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 326
Table of contents
- 1. Einleitung vii
- 1.1 Forschungsstand viii
- 1.2 Vorhaben und Ziele der Edition x
- 1.3 Die Quelle xi
- 1.4 Der Wert der Quelle – Prosopografische Erkenntnisse xii
- 1.5 Die juridische Fakultät: Studienvoraussetzungen, Studienverlauf und Größe xiv
- 1.6 Paläografische Analyse xvii
- 1.7 „Studium im Ausland“ – Italienaufenthalt und römisch-rechtlicher Einfluss xxi
- 1.8 Statistische Auswertung xxv
- 1.9 Berufliche Wirkungsfelder der Juristen xxxviii
- 1.10 Liste der Dekane xlii
- 1.11 Kurzzitate und Siglen der Quellen und Literatur xlvii
- 1.12 Abkürzungen im Text und in den Registern xlviii
- 1.13 Grundsätze der Edition li
- 1.14 Vorbemerkung zu den Registern lii
- 1.15 Quellen und Literatur liii
- 2. Text der Matrikel 1442–1557 1
- 3. Register 119
- Abstract 259