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»Durch Landesbewohner verraten« 059
»Durch Landesbewohner verraten«
Die demoralisierende Wirkung der militärischen Niederlagen wurde gerade zu Beginn
des Feldzuges noch durch zahlreiche Konflikte mit der Zivilbevölkerung verstärkt. Be-
reits am 1. September 1914 erwähnte der Kriegsberichterstatter Freiherr Kurt von
Reden ein Problem, das fĂĽr die Truppen der Habsburgermonarchie eine schwere zu-
sätzliche Belastung bedeutete: »Leider darf ein sehr schwerwiegender Nachteil für die
österreichisch-ungarischen Truppen nicht unerwähnt bleiben: Sie kämpfen, obwohl mit
ihrer Hauptfront in Galizien, in Feindesland. Ostgalizien ist fast ausschlieĂźlich von Ru-
thenen bewohnt und die jahrelange Agitation der Popen und Lehrer hat ihre Wirkung
bei der tiefstehenden und urteillosen Bauernschaft nicht verfehlt. Die russische Armee
ist mit Nachrichten nur zu gut bedient.«10
Der chauvinistische Unterton in Kurt von Redens Artikel ist durchaus charakteris-
tisch fĂĽr die Berichterstattung dieser Tage und kontrastiert umso auffallender den sach-
lichen Berichtsduktus von Rolf Geylings Feldtagebuch. Als slawischer Volksstamm, der
zur Volksgruppe der Kleinrussen zählt, fühlten sich die Ruthenen allein schon aufgrund
ihrer Sprache mehr dem benachbarten Russland als dem Kulturkreis der österreichisch-
ungarischen Monarchie verbunden. Das Stereotyp einer »tiefstehenden« und »urteilslo-
sen« Bevölkerung, das in der zeitgenössischen Kriegspropaganda durchwegs auf Russ-
land angewendet wurde, findet im Artikel von Redens deshalb auch auf die Ruthenen
Anwendung, obwohl diese Volksgruppe seit 1772 Teil der Habsburgermonarchie war.
Tatsächlich schildert auch Rolf Fälle von Verrat und Spionage, die er in Ostgalizien
selbst miterlebte. So schreibt er etwa am 9. September:
Division wird heftig beschoßen, auch von feindlichen schweren Mörserbatterien, diese
schießen seit 10 Uhr v.m. mit Intervallen und sehr guter Seiten- und Höhenrichtung (  Auf-
schläge rechts hinter der Batt. 2, immer auf gleicher Stelle  ). Auch die leichte Artillerie des
Feindes schieĂźt mit sehr guter Direktion. Wirkung noch nicht bekannt. Richtung speziell
gegen Divisionskommando so auffallend, daß nur Verrat gewesen sein kann. – 8h v.m.
wurde Rzyczki vom Feind in Brand geschossen und zwar genau beim Standpunkt des
Divisionskommandos. Standpunkt musste sofort verlegt werden [  …  ] kaum war aber der
neue Standpunkt erreicht, Stab sofort wieder unter Feuer. Standpunkt wieder verlegt [  …  ]
und sofort wieder unter intensiverem Feuer. (Abb. 36 und 37)
10 Ă–sterr.-Ungar. Kriegspressequartier, 1. September 1914. In: Das Archiv zum 1. Weltkrieg. www.
stahlgewitter.com (  Download am 11. 04. 2009 
)
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273