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Mobilisierung und Krieg 070
lautet eine Tagebucheintragung vom 29. August: »Nach kurzen aber furchtbaren Infan-
teriekämpfen [  …  ] wird das Gefecht wieder so rasch nach vorwärts getrieben [  …  ], daß
wir gar nicht ohne Gefahr der eigenen Infanterie schießen können, und auch die leich-
ten Batterien eigene Truppen gefährdet und geschädigt haben sollen.« Am Abend des
30. August schrieb er nach der Meldung, dass die eigene Infanterie (  I. R.28  ) von Artil-
lerie beschossen worden war, erleichtert: »die S. H. D.14 kann dies wegen der Zeit nicht
gewesen sein«.
Warten auf Befehle
Mehrmals wird in »Österreich-Ungarns letzter Krieg« darauf hingewiesen, dass die Auf-
klärung an der Ostfront nur höchst ungenügend funktionierte, das Armeeoberkomman-
do deshalb häufig nur mangelhaft über die feindlichen Truppenbewegungen unterrichtet
war und die ausgegebenen Befehle aus diesem Grund wiederholt auf verhängnisvollen
Fehleinschätzungen beruhten.
Die mangelnde Kommunikation mit dem Oberkommando bzw. die sich immer wie-
der ändernde Zuteilung von Gefechtseinheiten unter das Kommando verschiedener Ko-
lonnen verursachte weitere Probleme.
So schreibt Rolf am 11. September: »Div. langt nachm. in Niemirow ein, parkiert, näch-
tigt. Fühlung mit 3. I. T. D. verloren, langen keine weiteren Befehle ein.« Am nächsten Tag
kam eine Depesche des Generalkommandos, die den Abmarsch befahl. Als die Division
bereits unterwegs war, traf die Nachricht ein, dass ein Teil der Kolonne in Niemirow auf-
gehalten worden sei, da sie nach Westen zur 3. ITD marschieren mĂĽsse. Daraus zog die
FĂĽhrung von Rolfs Einheit den Schluss, dass sie ebenfalls diese Richtung einzuschlagen
habe, und zweigte gleichfalls nach Westen ab, kam jedoch »irrtümlich« nicht im geplan-
ten Ort an. Beim Warten auf weitere Befehle stellte sich schlieĂźlich heraus, dass die Ă„n-
derung der Marschroute auf einem Missverständnis beruhte, da es sich um keinen Be-
fehl, sondern nur um eine »Mitteilung« gehandelt habe.
Eine fatale Folge dieser Aktion war, dass der Kontakt zur Munitionskolonne ver-
loren ging, wie Rolf schreibt: »Seit 13. September Munitionspark vermisst. Es wird zu-
versichtlich vermutet, dass dieselbe bei dem RĂĽckzugsdebakel ab Niemirow, woselbst
er zum letzten mal gesehen wurde, entweder vernichtet oder gefangen genommen
wurde, desgleichen Verpflegungs-Wagen-Partien und das gesamte Verpflegungsper-
sonal«. Überraschend tauchte der vermisste Munitionspark allerdings zehn Tage spä-
ter wieder auf: Durch feindliche Einwirkung war er von der ursprĂĽnglichen Marschlinie
abgedrängt worden und einige Tage herumgeirrt, ehe er den Anschluss an die übrigen
Heeresteile wiederherstellen konnte. Auch die zersprengt gewesene Verpflegungsstaf-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273