Page - 199 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Das architektonische Werk 199
Wenig später, am 14. 10. 1934, berichtet Rolf seiner Mutter: »Ich habe in Peitaiho stän-
dig kleine Arbeiten und muß alle 2 Wochen dahin. [  Es  ] freut mich doppelt Dir berichten
zu können, dass dieses Jahr beruflich eines der besten ist, das ich hier erlebte. Es ist das
erste Jahr, dass ich nicht Not hatte Unternehmerarbeiten zu ĂĽbernehmen, da ich mit Ar-
chitektur- also Planungsarbeiten voll beschäftigt war. Zwar kann man mit etwas Glück,
mit Unternehmerarbeiten weit mehr verdienen als mit Architekturarbeiten, aber schlieĂź-
lich ist doch das Entwerfen und Planen dasjenige das mir eigentliche Befriedigung gibt.
[  …  ] Ein großes Wohnhaus mit 33 Wohnungen ist im Sommer schon fertig geworden
und ist schon voll bewohnt. Außerdem habe ich noch 7 größere Einzelwohnhäuser für
reiche Chinesen im Bau, die alle vor dem Winter fertig und bewohnt werden sollen. Ei-
nige größere und kleinere Projekte sind noch in Bearbeitung.«
Beruflich war auch das Jahr 1936 fĂĽr Rolf sehr erfolgreich. Seine Ersparnisse legte er
in der Errichtung eines zusätzlichen Trakts zu seinem Miethaus, den »Cambridge Flats«,
an, und er erwartete, dass auch im Jahr 1937 die rege Bautätigkeit weitergehen werde,
»wenn auch bald ein langsameres Tempo wird kommen müssen, denn in den letzten
zwei bis drei Jahren ist mehr gebaut worden als Bedarf ist«.(  Brief an Greta, 5. 8. 1937  )
Tatsächlich entwickelte sich das Baugeschäft weiterhin gut. Allerdings hatte Rolf stets
mit extrem wechselnden Materialpreisen sowie mit Preissteigerungen zu rechnen, sodass
jede Kalkulation fĂĽr Neubauten gewisse Unsicherheiten in sich barg. Da er vorzugsweise
mit Material aus Österreich arbeitete, hatte er zusätzlich mit Lieferproblemen zu kämp-
fen, wie er an Greta weiter schreibt: »[ 
…  ] namentlich die importierten Waren steigen im
Preis sehr beträchtlich. Eisenteile für Beton etc., Eisenrohre, Eisenbleche etc. sind bis zu
100 % im Preis gestiegen und teilweise gar nicht zu bekommen«.
Das architektonische Werk
Als Rolf 1920 nach Tientsin kam, war der Bauboom ungebrochen, die Nachfrage nach
ausländischen Architekten war weiterhin groß, und zu Recht konnte er ein ergiebiges
Betätigungsfeld erwarten. Die retrospektive, historistische Gestaltungsweise, die ab dem
Ende des 19. Jahrhunderts das Stadtbild prägte, war weiterhin gefragt, und dementspre-
chend errichtete etwa sein ehemaliger Partner K. Behrendt in den 30er-Jahren eine Rei-
he von Gebäuden, die mit einer überreichen Fülle von modifizierten Motiven sämtlicher
Stile der Vergangenheit gleichsam ĂĽberzogen sind.
Interessant ist daher, einen Blick auf die Entwicklung der Architektur in den 1920er-
und 1930er-Jahren in Europa zu werfen: Nachdem in Europa der Klassizismus bzw. Histo-
rismus, d. h. der RĂĽckgriff auf Stile der Vergangenheit, die Architektur des 19. und begin-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273