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Die Jahre in Sibirien 115
3. Nov. Vormittags Offiziergefangenenlager in Div[  …  ] Potschta [  ?  ] passiert22. (Abb. 55)
Abend Tschita. Oblt. macht Fluchtversuch in einem Wagon vorne im Zug; gut ausgedacht,
aber zu nervös durchgeführt 
! Bald entdeckt und in Tschita auswagoniert und ĂĽbergeben.
Fahrt durch die rechte Steppe. Den ganzen Tag kein Baum; Dromedare 
! Nachts kommen
wir in Dauria an bleiben aber im Wagon.
Dauria
Dauria, ein kleines Lager im östlichsten Winkel des russischen Reiches, sollte für zwei-
einhalb Jahre der Aufenthaltsort Rolfs bleiben, nämlich von seiner Ankunft am 3. No-
vember 1915 bis März 1918. Über die Gründe, warum sich Rolf bei erster Gelegenheit
von Krasnoyarsk in das Gefangenenlager Dauria verlegen ließ, können nur Vermutun-
gen angestellt werden. Gewiss war ihm bekannt, dass im Winter 1914  /15 in Krasnoyarsk
eine verheerende Flecktyphus-Epidemie geherrscht hatte, und vermutlich hat Rolf auch
erfahren, dass durch diese Epidemie rund 50 Prozent der Lagerinsassen gestorben wa-
ren. Somit stand zu befürchten, dass auch diesen Winter ähnliche Zustände auftreten
könnten. Darüber hinaus erfasste Rolf wohl rasch, dass das Lager Krasnoyarsk seit An-
fang 1915 mit einer Belegung von rund 13.  800 Gefangenen das größte Sibiriens war und
deshalb dort besonders chaotische Zustände herrschten.
Da die Räume, die den Offizieren in Dauria zur Verfügung gestellt wurden, nicht
eingerichtet waren, mussten sie sich nach ihrer Ankunft im Lager allerdings erst einmal
selbst um die Einrichtung kĂĽmmern:
5. Nov. FrĂĽh werden wir ins Lager, gleich neben der Bahn gefĂĽhrt. Es sind hier etwa
200 Offiziere schon seit zirka einem Jahr; ganz leidlich eingerichtet. An Mannschaft
zirka 8000 Mann, viel deutsche. Endlich ein Lager, wo die Ungarn nicht zu sehr ĂĽber-
wiegen. Wir kommen in einen neuen Trakt, noch nicht fertig. Liegen vorläufig am
Boden bis in einigen Tagen Einteilung. Essen zu Gruppen vorläufig bei anderen Ess-
gemeinheiten  !
6. Nov. Besitze bereits ein Bettgestell und Bretter dazu; anderes wird kommen. Wir
haben ziemlich Bewegungsfreiheit im Lager. Schöne Tage aber kalt (  -10 °  ). Ein Inns-
brucker Bildhauer macht ein Denkmal am Friedhof für etwa 200 österreichische Sol-
22 Alles deutet darauf hin, dass Rolf das Lager Berosovka meint, das an der Bahnlinie zwischen
Irkutsk und Tschita lag und von dem Rolf auch eine Fotografie aufbewahrte.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273