Seite - 17 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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den ein Meisterschaftsboxkampf auslöst“21, berichtet Helmut Wagner 1931 re-
trospektiv in Sport und Arbeitersport. Nichts könne wichtiger sein als die Frage,
wer die „stärksten Knochen hat, wer die meisten Faustschläge aushält und wer
die meisten austeilen kann. Massensport, das heißt heute:
Sporttaumel der Mas-
sen.“22 Die gebildete Öffentlichkeit interessiert sich für Boxen ebenso wie die
Majorität der Arbeiter und Angestellten.23 Die dem Boxen inhärente Spekta-
kelkultur und Öffentlichkeitswirksamkeit münden in professionalisierten, öko-
nomisierten und medial dauerrepräsentierten Sport.24
Boxen gewinnt vor dem historischen Hintergrund des Umwälzungsprozesses
zwischen Wilhelminischem Kaiserreich und Weimarer Republik an Popularität.
„Weimar war die Arena eines großen Zweikampfes, der 1918/19 mehr als ein
Jahrhundert alt war, eines Kampfes, des einen Deutschlands gegen das ande-
re“25, kommentiert Peter Gay in Die Republik der Außenseiter. Boxen also als ein
bloßes Phänomen zeitgemäß-sportiver Gegnerschaft? Die eingehende Lektüre
der in den 1920- und 1930er-Jahren entstandenen literarischen Texte zum Bo-
xen offenbart nicht nur ein komplexes Beziehungsgefüge zwischen Promotion
und Kritik dieses Sports; sie liefert auch soziokulturelle Hinweise und Hinter-
gründe: Literarisiertes Boxen stellt traditionell-hierarchische Körperordnungen
infrage und schafft neue Korrespondenzen (und Kontaminationen) zwischen
Sport, Alltag und Kunst. Als Stellvertreterfiguren setzen Boxer ihre Körper und
Leben früh den Unwägbarkeiten der Moderne aus.
Zahllose Boxberichte und Sporterzählungen ergeben sich dennoch dem
Denken in Polaritäten: Die Ringprotagonisten werden zu „Stellvertreter[n]
ganzer Glaubensrichtungen“26 stilisiert; zwischen Pugilist und Poet bestehe,
verkündet schwärmerisch eine Studie zum Boxsportboom der Zwischenkriegs-
zeit, eine „jahrtausendalte Liebesgeschichte“27. Im Figurenarsenal der sozia-
len Prototypen des frühen 20. Jahrhunderts28 nimmt der Mann in der Duell-
21 Wagner 1973, S. 112
22 Ebd.
23 Vgl. Faust und Geist-Kapitel „Forschungsberichte“
24 Vgl. Marschik 2009, S. 33f; Fleig 2008, S. 85
25 Gay 1987, S. 15
26 Meinhardt 1996, S. 115
27 Holtemayer 2005, S. 51; vgl. Kohtes 1999, S. 18ff; Wittstock 1993, S. 274ff; Gumbrecht 2005, S.
22; Walter Rothenburg (1889–1975), genannt Wero, der 1925 den Berliner Sportpalast erstmals
für eine Boxveranstaltung adaptierte, übte passenderweise die Berufe Volksdichter, Schlagertex-
ter und Boxpromoter aus, vgl. N. N 1947; N. N 2002
28 Dazu zählen Funktionär, Soldat, Hochstapler (vgl. Jünger 1932; Rohrwasser 1980, S. 47–127;
Rohrwasser 1975, S. 45–105; Theweleit 2009, Bd. 1, S. 11–188; Serner 2007) sowie Flieger,
Autofahrer und Ingenieur (vgl. Klemperer 1989b, S. 59; Büttner 2008, S. 332; Graeser 1927, S.
42), die sich klar von den wilhelminisch-bürgerlichen Ständetypen Offizier, Fabrikant, Politiker, 17
Grundlagen |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440