Seite - 18 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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manege aber tatsĂ€chlich eine herausgehobene Stellung ein: âDer Boxring stellte
den Menschen und seinen Körper buchstĂ€blich ins Rampenlicht.â29 Die Figur
des VitalitĂ€tsvorbilds ist von besonderer Deutlichkeit markiert. Die BezĂŒge zu
zeitgenössischen Tugenden und spezifischen Merkmalen â Kraft, Körperzucht,
BestÀndigkeit, Disziplin, Rationalisierung, Technisierung und, nicht zuletzt, die
erotische Signalwirkung der âzwei Herren in Unterhosenâ30 â sind offensichtlich
und mĂŒssen nicht eigens durch Idealisierung und Emphase hergestellt werden.31
Faust und Geist unternimmt deshalb den Versuch, in einer auf Michel Foucault
zugespitzten Lesart das historische Narrativ Boxen als Untersuchungsgegen-
stand einer interdisziplinÀr angeschnittenen Forschung vor dem Hintergrund der
Alltagsideologien und der sozialökonomischen Interaktionen zu Beginn des 20.
Jahrhunderts zu analysieren und zu systematisieren. Die relative methodologische
Offenheit und AnschlussfĂ€higkeit der Foucaultâschen Analyse von boxliterari-
schen Texten erweist sich gleich in zweifacher Hinsicht als ein entscheidender
Vorteil: Boxen, als einem weitestgehend offenen semantischen Feld unscharfer
Grenzen und unbestÀndiger Schwerpunkte, kommt, wie Foucault in Die Ordnung
des Diskurses schreibt, inmitten des âWuchern[s] des Diskursesâ32 eine zentrale
Funktion zu; Boxer erfahren die Möglichkeitsbedingungen der Existenz auch als
eine Form fortlaufender Statusunsicherheit: Im Ring ist der Athlet der Kontin-
genz ausgesetzt; der Gewinn an Selbstsicherheit, den er durch Trainingsvorbe-
reitung und Körperdurchformung zu erlangen sucht, ist gering. Die theoretische
Analogsetzung sollte freilich nicht zu weit getrieben werden, weil sie wesentli-
che Trennungen, GegensÀtze und Differenzen unterschlÀgt. Auch wenn hier der
Foucaultâschen Diskursanalyse viel Bedeutung beigemessen wird â und damit
ganz offensichtlich eine Position auf dem literarischen Feld bestimmt scheint â,
so bleibt eine unĂŒberbrĂŒckbare Differenz zwischen dem nonverbal-praktischen
Agieren und dem diskursiven Verhalten des Boxers, zwischen Sagbarkeiten und
Sichtbarkeiten, zwischen ,realerâ Geschichte und erzĂ€hltem Geschehen. Die Li-
teratur und ihr komplexes VerhÀltnis zum Sport hÀlt zentrale kulturgeschichtliche
und kulturkritische Fragestellungen zu den diskursiven GrenzĂŒberschreitungen
des Boxens bereit, gerade weil die Literatur nicht vorgibt, historische Wahrhei-
ten abzubilden â und den zu behandelnden Wirklichkeitsbereich als einen zu
Ă€sthetisierenden kĂŒnstlerischen Text in einem sozialhistorischen Umfeld erfasst33:
Universalgelehrter unterscheiden, vgl. Hermand, Trommler 1988, S. 79
29 Rase 2003, S. 109
30 Job 2006, S. 22
31 Vgl. Pfeiffer 1986, S. 12
32 Foucault 1977, S. 34
33 Vgl. Sicks 2006, S. 379ff
18 | Teilï»ż
I.ï»ż
Zeitzeichenï»ż
Boxen
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂŒberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂŒckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und NebenschauplÀtze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten ErzÀhlliteratur 160
- âZeitfigurâ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440