Seite - 19 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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„Textanalyse und Kulturanalyse gehen also eng miteinander einher“34, bemerkt
Kai Marcel Sicks in seiner Schrift Stadion romanzen, einer detaillierten Untersu-
chung populärer Sportromane, die in den 1920er-Jahren zu einem beliebten Re-
zeptionsstoff zählen35, was, so Sicks, den „Forderungen einer kulturwissenschaft-
lich informierten Literaturforschung“36 entspreche.
Die folgenden Zeilen orientieren sich nur auf den ersten Blick entlang se-
parierter Stränge, die sich im Fortgang dieser Arbeit gegenseitig bedingen und
ineinandergreifen. Eröffnet wird die Quellenanalyse mit der Sichtung der boxli-
terarischen Trivialliteratur; in einem zweiten Schritt werden die fiktionalen
literarischen, essayistischen und journalistischen Texte der elaborierten Prosa
untersucht und auf ihr kultur- und ideologiekritisches Potenzial hin befragt;
in einem weiteren Abschnitt werden Brechts Texte zum Boxen vor den gleich-
sam haushoch aufragenden Schriftenstößen zum Sport als ein eigener Gegen-
standsbereich kenntlich gemacht sowie Musils Gedankenfolgen zum Boxen
untersucht. Die Autoren in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts,
die sich in ihren Schriften dem Faustkampf widmen, koppeln die praktischen
Handlungsformen und diskursiven Elemente des Boxens in unterschiedlicher
Weise: In der Trivialliteratur wird der Boxer als Exponent des Zeitgeists zu
einer nahezu mystischen Figur fern psychosozialer Konfigurationen erhoben;
die elaborierte Literatur dagegen bezieht die sozialen und interdiskursiven Di-
mensionen des Wissens mit ein – Boxen wird zu einem mehrdimensionalen
Darstellungsobjekt, in das eminente Zeitsignaturen eingeschrieben sind. Bei
Bertolt Brecht erscheint der Boxer aus der Perspektive Foucaults bereits un-
trennbar in sozioökonomische Sphären sowie Dimensionen des spezifisch Kör-
perlichen und Performativen eingebunden. Robert Musil schließlich mustert
den Sportschwerarbeiter im Ring kritisch als einen Phänotyp der Moderne –
und nimmt dabei Foucaults poststrukturalistische Philosophie des Dispositivs
theoretisierend vorweg. Boxen in der Literatur bildet eine Art Interferenzraum,
in dem diskursive Formationen, körperliche Praxen sowie mediale und konsum-
kulturelle Erscheinungsformen, in vielförmiger Weise korreliert und hierarchi-
siert, aufeinandertreffen. In Anlehnung an einen Gedanken Pierre Bourdieus,
festgehalten in Programm für eine Soziologie des Sports, stellt Boxen damit ein
„handhabbares empirisches Objekt“37 dar, in das ein „theoretisches Problem von
größerer Tragweite“38 eingeschrieben scheint. Spezifische Epochenphänomene
34 Ebd., S 15
35 Sicks 2006, S. 9
36 Ebd.
37 Bourdieu 1992, S. 198
38 Ebd. 19
Grundlagen |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440