Seite - 25 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 25 -
Text der Seite - 25 -
kum unbesonnen übernommene Inszenierungsabsicht Vicki Baums als boxende
Zeitgenossin am Sandsack dar. Schlechterdings unhaltbar ist die 1970 von Leo
Kreutzer in der Studie Das geniale Rennpferd getroffene Feststellung zu Ers-
terem, Paul Zechs Ballade von dem großen Boxer Jack Dempsey habe den Topos
Boxen in der deutschsprachigen Literatur der 1920er-Jahre mitetabliert15; die
exakte Datierung von Zechs Dichtung scheint indes mehr als ungewiss16; das
Gros der Forschungsliteratur verweist als Ursprungsquelle auf eine Ausgabe des
Periodikums Akzente aus dem Jahr 1956; die umfangreiche Zech-Bibliografie
Poetry and Exile von Ward B. Lewis nennt ebenfalls 1956 als Erstveröffent-
lichungsjahr.17
Der Name der 1888 in Wien geborenen Autorin Vicki Baum steht, zweitens,
für eine dehnbare ikonische Konstruktion. „Vicki Baum ist die erste Boxerin
der deutschen Literaturgeschichte“18, postuliert Birgit Haustedt in Die wilden
Jahre in Berlin: „Sie boxt sich zur Superfrau der 1920er-Jahre hoch.“19 In ihren
Erinnerungen, Es war alles ganz anders, berichtet Baum von Besuchen im be-
kannten Berliner Boxsportklub Sabri Mahirs20, der sich zuvor als Rummelboxer
verdingt hatte und dem um 1933 von den Nationalsozialisten die Boxlizenz
entzogen wurde.21 Zu Körperschulungszwecken findet sich Baum demnach
in der „aufpeitschenden, mit Schweiß-, Franzbranntwein- und Ledergeruch
geschwängerten Luft“22 des Trainingslokals ein. Die Trainingsmethoden be-
schreibt die Autorin in Es war alles ganz anders als eine Form erbarmungsloser
Folter: „Stampfend, fluchend, schreiend gab er seine Kommandos, hetzte einen
in sein Tempo und wollte nichts davon wissen, daß man keinen Atem, keine
Füße, keine Arme, kein bißchen Kraft mehr habe und dicht vor einem Herz-
schlag stehe.“23 Baum berichtet weiter von ihren Erfolgen im Seilspring-Duell
mit dem Profiboxer Franz Diener; dabei ruft die Autorin kurzerhand das Bild
vom Überlebenskampf im Städtedschungel wach:
15 Vgl. Kreutzer 1970, S. 565
16 Vgl. E-Mail von Miriam Häfele vom Deutschen Literaturarchiv Marbach vom 27. Januar 2012
an WP; E-Mail von Ralf Sühl vom Kölner Zentrum für Olympische Studien vom 4. Januar
2012 an WP
17 Vgl. Zech 1956, S. 365–367; Lewis 1975, S. 27
18 Haustedt 1999, S. 120
19 Ebd.
20 Sabri Mahir (1894–?), türkischer Boxer und Trainer; der Name Mahirs findet sich in der Ab-
wandlung Sadi in Klabund 1998, S. 299 sowie in weiteren Texten in der Zeit der Weimarer
Republik, vgl. Baum 1968, S. 393ff; Kästner 1998a, S. 169
21 Vgl. Baum 1968, S. 393ff; Kohr, Krauß 2000, S. 36 u. 82; Kästner 1998a, S. 169
22 Baum 1968, S. 393
23 Ebd., S. 394; in Baums Roman Zwischenfall in Lohwinckel erscheint ein Boxtrainer als „Galee-
renaufseher“, vgl. Baum o. J., S. 135 25
Kritikpunkte:
Propagierungsmaschinerie
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440