Seite - 49 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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per durch sportliche Stärkung und athletische Ausbeutung zu kultivieren, hält
Müller im Rekurs auf Karl Ludwig Pfeiffers Reflexionen über den Sportspekta-
kelcharakter die grundsätzliche semantische Inhaltslosigkeit planvoller Körper-
ertüchtigung entgegen.42
Anne Fleig beschäftigt sich in Körperkultur und Moderne ausführlich mit Ro-
bert Musils Sportbegriff, dessen schriftstellerisches, soziologisches und kinema-
tisches Interesse dem Boxsport im Besonderen gilt. Boxen, so Fleig, betrachte
Musil gewissermaßen als ein theoretisches Vehikel zur Ideengenerierung43; zu-
gleich misstraue der Autor den schematischen und simplifizierenden Vorstel-
lungen von Sport und Sportler, also jenem zeittypischen Imago, das den „Boxer
als heroische Kampfmaschine“44 erscheinen lasse.45 Ulrich aus Der Mann ohne
Eigenschaften wird von Fleig als „Dandy und Boxer“46 benannt; Musil, so Fleig
weiter, folge den Idealen moderner Männlichkeit und Virilität jedoch nur so
weit, als der Autor seine handlungskonstitutive Figur mit den Insignien des
Boxens umgebe47; insofern könne Ulrich nicht als Boxer bezeichnet werden,
da der „Kampf mit der Wirklichkeit, der zentral für die Figur des Boxers ist,
für Ulrich vor allem Ausdruck der Möglichkeit“48 sei. Wie später zu zeigen
sein wird, verschränken sich in Ulrich aber durchaus boxerisch-zeitgenössische
Realitätspartikel mit diskursiven Dynamiken. In seiner aufschlussreichen Studie
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion, die den Mann ohne Eigenschaften als eine
Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts interpretiert, kommt Norbert Christian Wolf
dagegen zu dem Schluss, dass sich der „unheroische Musil’sche Held an vielen
Stellen des Romans auf durchaus heroische Weise“49 auflehne.
In ihrem Beitrag Massensport in der Weimarer Republik relativiert Christiane
Eisenberg auf Grundlage zeitgenössischer Verbandsstatistiken die Behauptung,
die Weimarer Boxsportkultur sei eine „Jedermannskultur“50 gewesen: Boxen
scheint in den von Eisenberg ausgewerteten Ranglisten der beliebtesten Wei-
marer Sportdisziplinen nicht auf51; der proletarische Sport sei dem Boxen zu
42 Vgl. ebd., S. 70
43 Vgl. Fleig 2008, S. 120
44 Ebd., S. 118
45 Vgl. ebd., S. 213–247
46 Ebd., S. 226
47 Vgl. Musil 1989a, S. 46 u. S. 893
48 Fleig 2008, S. 232
49 Wolf 2011, S. 363
50 Eisenberg 1993, S. 138
51 Vgl. ebd., S. 171; der Szenebeobachter Kosmopolit geht für das Jahr 1924 von 400 Berufs- und
rund 40.000 Amateurboxern in Deutschland aus, vgl. Kosmopolit 1927, S. 112 49
Forschungsberichte:
Lückenhafte
Spurenlage
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440