Seite - 50 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Beginn der 1920er-Jahre reserviert gegenübergestanden52, und in der Erörte-
rung der um den Ring versammelten Intellektuellen habe der Begriff „Mas-
sensport“ nicht als messbare Größe gegolten, vielmehr als Projektionsfläche für
„Wahrnehmungen und Phantasien“53. In ihrer Gesellschaftsgeschichte „English
sports“ und deutsche Bürger führt Eisenberg ihre These weiter aus: Die im Eng-
land des 19. Jahrhunderts gepflegte Leidenschaft für das Boxen sei vielen Wei-
marer Zeitgenossen weitestgehend unverständlich geblieben54; im Preisboxen
erblickten die „gesitteten Menschen“55 ein „tierisches, brutales Schauspiel“56, das
einen „unüberwindlichen Ekel“57 zurücklasse; die Befürworter des Boxens seien
bis in die erste Hälfte der zwanziger Jahre hinein in der Minderzahl geblieben.58
Ulrike Schaper macht in ihrer Analyse Das Boxen ist ein Sport wahrer Männ-
lichkeit, basierend auf der Untersuchung des Zusammenwirkens von Boxen und
Männlichkeit in der Weimarer Epoche, darauf aufmerksam, dass Boxen eine
„diskursive Arena“59 bilde; die Figur des Boxers versteht Schaper als „diskursive
Konstruktion“60, die in einem „Wettstreit männlicher Eigenschaften“61 verfan-
gen scheine. Die Figur des Boxers, so Schaper in dem Beitrag Man sagt zu Recht:
Boxsport – Männersport, erscheine in besagtem Zeitraum nicht nur aus gender-
spezifischer Perspektive als „vielschichtiges Konzept“62; Boxen präsentiere sich
als eine Art „Freiraum innerhalb einer zunehmend regulierten und komplexer
werdenden Welt“63.
Einen vielversprechenden Ansatz verfolgt auch Frank Becker, der in Sport
bei Ford und Amerikanismus in Weimar „Mehrdimensionalität“64 in der Frage-
stellung anstrebt. Becker nähert sich dem Sportdiskurs der zwanziger Jahre mit
einem methodologischen Konzept, das Sport als Modell für politische, soziale
und ökonomische Systeme westlicher Prägung fasst: „Sport als Paradigma und
52 Vgl. Repplinger 2008, S. 99
53 Eisenberg 1993, S. 140
54 Vgl. ebd., S. 160ff
55 Vgl. ebd., S. 161
56 Ebd.
57 Ebd.
58 Vgl. ebd., S. 340
59 Schaper 2006, S. 14
60 Ebd., S. 2
61 Ebd.; zur Geschlechterrollenproblematik im Boxen vgl. Junghanns 2001, S. 6f; Luckas 2002,
S. 279–299; Haerdle 2003, S. 60–66; Job 2003, S. 170; Gebauer, Lenk 1988, S. 155; Büttner,
Dewald 1992, S. 222f; Binhack 1998, S. 151
62 Schaper 2006a, S. 92
63 Ebd., S. 95
64 Becker 1993, S. 37
50 | Teil
I.
Zeitzeichen
Boxen
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440