Seite - 55 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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jene Form einer möglichen Individualisierungsstrategie, die angesichts der urba-
nen Massengesellschaft mittels emphatischer Bejahung des Einzelkämpfers das
probate Mittel zur Überwindung von Anonymität und „Monadenleben“14 zu er-
kennen glaubt.15 Die zwanziger Jahre beginnen den „Pugilistentraum der hero-
isch genannten Leistung aus Kraft und Willen und Zähigkeit“16 zu träumen.17
Die angedeuteten Interdependenzen und flüchtigen Transfers von Sinnzusam-
menhängen aus einem Diskurs in den anderen sollen nun in reihend-deskrip-
tiver Darstellung entwickelt werden, bevor sich die nachfolgenden Überlegun-
gen dem literarisierten Boxen im Spiegel der Weimarer Problematisierung von
Sport, Kampf, Körper, Existenz-Exerzitium und Heroendarstellung zuwenden.
1.
Hauptaustragungsorte:
Boxen
liegt
in
der
Luft
Daseinszerrissenheit. Regierungskrisen. Ideologiekämpfe
In einer Reisenotiz deutet Kafka 1912 jene Epoche, die sich nach dem Welt-
krieg entfalten wird, bereits als das „nervöse Zeitalter“18. Noch im 19. Jahrhun-
dert zählt der Begriff „Sicherheit“ zur Grundvokabel der Zeit – Stefan Zweig
spricht gar vom „Zeitalter der Sicherheit“19. Thomas Mann erinnert sich 1950 in
dem Essay Meine Zeit an die Fahrradmarke Safety, Sinnbild für die „unerschüt-
terliche Lebensgrundlage meiner Jugend“20; „Solidität und Dezenz bildeten das
Gepräge“21, so Mann. Es gelte, notiert Thomas’ älterer Bruder Heinrich dagegen
1926 in dem Essay Der Bubikopf, die „ganze Unsicherheit des heutigen Da-
seins“22 durchzuhalten. Die kurze Hochblüte der Weimarer Demokratie ist von
Regierungskrisen, wechselnden Koalitionen und problematischen politischen
Bündnissen bestimmt. Sebastian Haffner protokolliert in seinen Erinnerungen,
Geschichte eines Deutschen, über die Kriegsjahre bis 1918: „Was zählte, war die
Faszination des kriegerischen Spiels: eines Spiels, in dem nach geheimnisvollen
Regeln Gefangenenzahlen, Geländegewinne, eroberte Festungen und versenkte
14 Lethen 1986, S. 194
15 Vgl. Maase 2007, S. 102
16 Müller 2004, S. 15
17 Vgl. Junghanns 2005, S. 112; Sicks 2006, S. 9: „Ein erst in Ansätzen semantisiertes Kulturphä-
nomen, steht der Sport Projektionen jedweder Herkunft zur Verfügung.“
18 Kafka 1990, S. 1026
19 Zweig 1982, S. 14
20 Mann 1960a, S. 310
21 Ebd., S. 309
22 Mann 1956, S. 91 55
Haupt-
und
Nebenschauplätze:
Epochensymptom
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440