Seite - 60 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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genossen ausmachen: Auf dem Tummelplatz der freien Kräfte, im Boxring, dem
Residuum der sportlich-fairen Auseinandersetzung von Mann gegen Mann,
möge jener gewinnen, der mit seinem Kapital in Form von Körperkraft und
Konzentration besser hauszuhalten versteht, der seine Leistung „bändigt und
sublimiert“69.
Ökonomisierung. Hypernationalismus. Kultur der Äußerlichkeit
Boxen erscheint in den Weimarer Krisenjahren als eine Disziplin von sozia-
lem Wert, welche die Verschränkung von Sport, Politik und Geldwirtschaft
repräsentiert. Das Boxen zählt zu den am frühesten professionalisierten Zu-
schauer- und Wettkampfveranstaltungen; durch Werbe- und Wetteinnahmen
sowie durch den Verkauf von Eintrittskarten und steuerlichen Sonderabgaben
wird Boxen auf höchst ertragreichem Niveau durchökonomisiert.70 Der Boxer,
mahnt Heinz Risse, habe sich „um sein Training zu kümmern; alles Geschäft-
liche besorgt der Impresario für ihn“71. Djuna Barnes stellt bereits 1914 in der
Reportage Meine Schwestern und ich bei einem Preisboxkampf fest: Boxen „war
ein Geschäft, kein Sport mehr“72. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen
Boxsportgroßereignisse dazu nationalistisch aufgeladen. In den USA wird im
Zusammenhang mit Boxern schwarzer Hautfarbe die „weiße Hoffnung“ – ein
Kompositum Mark Twains73 – ins Spiel gebracht74; in Europa stehen die Groß-
kampftage im Zeichen politischer Instrumentalisierung75 und hypernationalisti-
scher Athletenheroisierung.76 Die Figur des Boxers steigt zu einem Symbol na-
tionaler Hoffnung und patriotischen Triumphes auf; die Sport-Heroen scheinen
eine „dumpfe neue Krieger-Mentalität zu verkörpern, die mit den ideologischen
Kämpfen der Epoche korrespondiert“77. Selbst Querschnitt-Herausgeber Alfred
Flechtheim schwärmt in dem Text Gladiatoren davon, dass jeder anstehende
Boxkampf für Deutschland von Wert wäre, denn „wir haben in Deutschland nur
69 Lindner 1994, S. 167
70 Vgl. Becker 1993, S. 191; Behrendt 1990, S. 87
71 Risse 1979, S. 68
72 Barnes 1990, S. 250
73 Vgl. Wondratschek 2005b, S. 55
74 Vgl. Maase 2007, S. 102; Luckas 2002, S. 137ff
75 Vgl. Hermand, Trommler 1988, S. 76f; Witt 1982, S. 193; Kosmopolit 1927, S. 11
76 Vgl. Junghanns 1997, S. 127; Rase 2003, S. 110; im Feuilleton Großkampftag notiert Alfred
Polgar, das „starktönende Wort“ vom Großkampftag sei „geboren als Kind des Krieges“; dass
Polgar in Großkampftag auf behördliche Affichen anspielt, die eine Bekämpfung der Rattenplage
ankündigen, nimmt der Beobachtung wenig an Bedeutung, vgl. Polgar 2004d, S. 262
77 Ott, Tworek 2006, S. 10
60 | Teil
I.
Zeitzeichen
Boxen
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440