Seite - 67 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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und Kampfgeist spielen eine zentrale Rollen; fast zwangsläufig rückt da die Ge-
stalt des Boxers in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Während die
Namen bekannter Boxen die Menschenmassen gewissermaßen magnetisch in
die Arenen und Hallen ziehen, in denen Großkampftage abgehalten werden,
suchen die Intellektuellen aus dem urbanen Milieu der Neuen Sachlichkeit
umgehend Typologie und Auswirkung des Heroenkults zu ergründen, der glei-
chermaßen von Max Webers Analyse des Charismatischen wie der zeitgenös-
sischen Wortbedeutung des Heroischen, die im Sportler den Berufenen sieht,
begründet scheint.145 Nach Max Weber setzt die charismatische Persönlichkeit
Zeichen des Außergewöhnlichen und bringt in Form von Bewährungsproben
Routinegeschehen außer Tritt; seine Leistung muss der charismatische Held vor
aller Augen ausüben. Charisma sprenge in „seinen höchsten Erscheinungsfor-
men Regel und Tradition“146; der „Träger“147 desselben ergreife, so Weber weiter,
die ihm „angemessene Aufgabe“148 und verlange „Gehorsam und Gefolgschaft
kraft seiner Sendung“149; der charismatische Protagonist leite seine Autorität
nicht aus Satzungen und Ordnungen ab, sondern er „gewinnt und behält sie
nur durch Bewährung seiner Kräfte im Leben“150. In Webers Definition scheint
der Boxsportheldenkult grundiert – auch wenn der Soziologe dabei kaum den
Ringsportler im Blick gehabt haben dürfte. Gottfried Benn trauert der Gestalt
des Boxers noch zu Beginn der 1950er-Jahre hinterher: „Mit jener Eigenschaft
der großen Puncher: // Schläge hinnehmen können“151, so Benn: „eine Hymne
solchem Mann“152. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beansprucht Boxen abstrus
anmutende Allgegenwart153: Ankündigungen für Großkampftage zieren in den
Metropolen Werbeplakate, Anzeigenschaltungen und Litfaßsäulen154; in Berlin
145 Vgl. Eisenberg 1993, S. 137ff
146 Weber 1985, S. 658
147 Ebd., S. 655
148 Ebd.
149 Ebd.
150 Ebd., S. 656
151 Benn 2003, S. 270
152 Ebd.
153 Der Publizist Bernard von Brentano konstatiert im Feuilleton Alle zusammen 1926 vor dem
Sportpalast eine „kochende Volksseele“ (Brentano 1981b, S. 166): „Das Gesicht der Erde zu
Anfang des 20. Jahrhunderts sieht so aus. Es ist geschminkt, zurechtgemacht, erregt, verzerrt
und zufrieden.“ Der Schriftsteller Georg Kaiser berichtet in Von morgens bis mitternachts aus dem
Sportpalast: „Oben entblößt sich der Zauber. In dreifach übereinandergelegten Ringen […] tobt
Wirkung. […] Nur Blicke, aber weit – rund-stierend. Höher schon Leiber in Bewegung. […]
Fanatisiertes Geschrei. Brüllende Nacktheit. Die Galerie der Leidenschaft!“ (Kaiser 1965, S. 40)
154 Vgl. Haerdle 2003, S. 32 67
Haupt-
und
Nebenschauplätze:
Epochensymptom
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440