Seite - 73 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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des Sports werden in eilig erbauten Wettkampfstätten mit Fassungsvermögen
von bis zu 100.000 Zuschauern206 Boxer zur Schau gestellt und gewinnbringend
vermarktet.207 Politiker, Bankiers, Geschäftsleute, Intellektuelle und Filmstars208
treten in den Sportdomen, geschaffen als „‚Hexenkessel‘ für Boxkämpfe“209, mit
der Demimonde des Boxmilieus in den Wettstreit um die Ökonomie der Auf-
merksamkeit.210 Durch Licht und Lärm werden die Geschehnisse im Boxzir-
kusrund gewissermaßen vergegenständlicht: „Beleuchtet und exponiert maßen
sich im Ring halbnackte Körper.“211 Der Ring ist symbolhaft ausgeleuchtet, der
Zuschauerraum in Dunkelheit getaucht212: „Jedes Dispositiv hat seine Licht-
ordnung“213, bestimmt Gilles Deleuze in Was ist ein Dispositiv? die „Art und
Weise, in der dieses fällt, sich verschluckt oder sich verbreitet und so das Sicht-
bare und das Unsichtbare verteilt und das Objekt entstehen oder verschwin-
den lässt, welches ohne dieses Licht nicht existiert“214. Die Siege und Nieder-
lagen der Boxer orientieren sich an bestimmten Licht-Regien; die Körper der
Kämpfer erstrahlen nach dem Schlussgong im Licht des Triumphes – oder in
jenem der Tragödie.215 Die Zeitgenossen fühlen sich vom flirrenden Neon der
Leuchtreklamen216 und anderen „Lichtersensationen“217 immerzu umgeben und
bedrängt. Man male sich zum Vergleich nur aus, gibt Kurt Pinthus in dem Es-
say Die Überfülle des Erlebens zu bedenken, wie „ein Zeitgenosse Goethes oder
ein Mensch des Biedermeier seinen Tag in Stille verbrachte und durch welche
Mengen von Lärm, Erregungen, Anregungen heute jeder Durchschnittsmensch
täglich sich durchzukämpfen“218 habe. Von einem „Gefühlsflackerrhythmus“219
spricht der Berliner Autor Paul Gurk in seinem Roman Berlin. Das Lärmen in
den Boxkampförtlichkeiten fügt sich in das urbane Umgebungsgetöse, in den
geräuschvollen „Fiebertakt“220 der Straße; man unterwerfe sich, notiert Gurk in
206 Vgl. Kosmopolit 1927, S. 95
207 Vgl. Fleig 2005, S. 88
208 Vgl. Marcus 2013, S. 146
209 Ott, Tworek 2006, S. 115
210 Vgl. Gumbrecht 2003, S. 73ff; Kluge 2004, S. 92
211 Schaper 2006, S. 7
212 Vgl. Junghanns 1998, S. 57
213 Deleuze 1991, S. 154
214 Ebd.
215 Vgl. Gumbrecht 2005, S. 50
216 Vgl. Berg 1995, S. 136f.
217 Kiaulehn 1958, S. 538
218 Pinthus 1965, S. 130
219 Gurk 1980, S. 252
220 Ebd., S. 190 73
Haupt-
und
Nebenschauplätze:
Epochensymptom
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440