Seite - 78 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 78 -
Text der Seite - 78 -
des Sports. „Individualität schafft der auf die Spitze getriebene, auf die Einzelhei-
ten des Lebens, die ihm unterstellt werden, ausgedehnte Kampf.“265 Das „We-
sentliche des Sportsmannes“266 sei, urteilt Marieluise Fleißer in neusachlicher
Ideenkälte, dessen Sportgeist, eine, wie die Autorin in Sportgeist und Zeitkunst
schreibt, „bestimmte Kampfeinstellung des Lebensgefühls“267. Lion Feuchtwan-
ger resümiert 1927 schließlich die konfrontative Grundsituation der Epoche.
„Don Juan in seinen endlosen Varianten“268, so der Autor in dem Essay Die Kon-
stellation der Literatur, habe abgewirtschaftet, an seine Stelle sei der „kämpfende
Mensch“269 getreten.
4.
Glorifizierung
des
Körperlichen:
Athleten,
Artisten,
Attraktionen
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erfahren Körpersemantik und
Körperselbstbild neue Akzentuierungen: „Im Sport ist der Körper eine Büh-
ne.“270 Auf den „Fall von Korsett und Stehkragen“271, schreibt Max Schmeling
in seinen Erinnerungen, folgt die „Verherrlichung des Leibes“272 und der „Kult
des Nackten“273. Der „sentimentale Empfindler“274, wie Joseph Breitbach in Die
Wandlung der Susanne Dasseldorf bemerkt, hat ausgedient. Die Krisenerfahrung
der Moderne geht mit einem „ausgeprägten Interesse am Körper“275 einher. Als
Folge der im 18. Jahrhundert einsetzenden sozialen und politischen Disziplinie-
rungsprozesse276 und der ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts intensivier-
ten Körper- und Kraftforschung durch Physiologie und Physik wird auch der
menschliche Körper in den 1920er-Jahren im Sinne möglicher Effizienzsteige-
rung ausgedeutet.277 Versuchten die Körperkulturschulen der wilhelminischen
Ära, den Leib durch Hygienevorschriften und Turnregeln einer vermeintlich
naturnahen Lebensweise zuzuführen278, so sollen nach der Jahrhundertwende
265 Ebd.
266 Fleißer 1989a, S. 317
267 Ebd.
268 Feuchtwanger 2000, S. 211
269 Ebd.
270 Gebauer 2009, S. 209; vgl. Morris 1994, S. 358
271 Schmeling 1977, S. 85
272 Ebd.
273 Ebd.
274 Breitbach 2006, S. 424
275 Fleig 2008, S. 226
276 Vgl Kaschuba 1997, S. 239f
277 Vgl. Sicks 2006, S. 84–87; Hoberman 1998, S. 491
278 Vgl. Fleig 2008, S. 33
78 | Teil
I.
Zeitzeichen
Boxen
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440