Seite - 79 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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ökonomisch basierte Körpertechnologien die Befreiung aus dem „Treibhaus des
,Seelischen‘“279 bewirken; in seinem Essay Sport verdeutlicht der Schriftsteller
Frank Matzke zudem: „Gestern übte man Gefühle. Heute trainiert man Dau-
erschwimmen.“280 Gottfried Benn fordert die Rückbesinnung auf die „Muskel-
seele“281; der „extravagante Körper“282 habe, befindet Benn, mehr geleistet als
der „normale“283; die „bionegativen Eigenschaften“284 der aus dem Mittelmaß
hervorragenden Körper „schufen und tragen die menschliche Welt“285. Der Pu-
blizist Rudolf Kayser ruft in dem Appell Amerikanismus nach der „Körpersee-
le“286, die „jung, barbarisch, unkultiviert, willenshaft“287 sei. Das „unsichtbare In-
nere unseres Körpers“288 sei durch „Röntgenstrahlen klar vor Augen“289 getreten,
zeichnet Kurt Pinthus im Essay Die Überfülle des Erlebens euphorisch ein Bild
der neuen Körperlichkeit; die Wunder seien „Alltäglichkeiten geworden“290. Die
Einlassung Alfred Döblins, der die Einheit von Körper, Geist und Seele als „ein-
ziges körperlich-unkörperliches Glück“291 beschreibt, verklingt vor dem Hinter-
grund der Überbetonung des Körperlichen ungehört. Und allein auf weiter Flur
steht auch Heinrich Mann. Ende Oktober 1906 klagt der Autor, in seinem Ber-
liner Gartenhaus sitzend, dem Brieffreund Ludwig Ewers die „maschinenmä-
ßige Massenhaftigkeit der Weltstadt“292. Der moderne Sport hebt praktizierte
Körperlichkeit in den Rang eines Glücksversprechens293, wobei Boxen im Zuge
der „glorification of the body“294 mit besonderer Bedeutung ausgestattet wird;
die Abbildung von Kampf und Körperlichkeit erfolgt im Boxen nachhaltig, weil
sie „direkt in den Körper eingeschrieben werden“295. Boxen führt in eine „ritu-
alisierte Welt der Körper in Aktion“296. Die Überbetonung des Körperlichen
279 Matzke 1930, S. 144
280 Ebd., S. 147
281 Benn 1968, S. 898
282 Ebd., S. 905
283 Ebd.
284 Ebd.
285 Ebd.
286 Kayser 1983, S. 266
287 Ebd.
288 Pinthus 1965, S. 131
289 Ebd.
290 Ebd.
291 Döblin 1990, S. 57
292 Mann 1980, S. 422
293 Vgl. Gebauer 1988, S. 140
294 Bathrick 1990, S. 114
295 Marschik 2009, S. 28
296 Morris 1994, S. 363 79
Haupt-
und
Nebenschauplätze:
Epochensymptom
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440