Seite - 115 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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1929 in sein Tagebuch eine Episode symptomatischer Boxerverehrung: George
Bernard Shaw schwärmt darin dem Diaristen von seiner Begegnung mit einer
US-Boxberühmtheit vor.10 Boxen wird hier als modisches Moderne-Moment
gehandhabt, das durchweg ohne konkrete kontextuelle und problematisierende
Einordnung auskommt und ohne analytischen Anspruch auftritt: Boxen als Ku-
riosum und Faszinosum, das schlagwortartig beleuchtet wird; der Faustkämpfer
als eine herbeizitierbare Schlüsselfigur des Progressiven.
In den 1920er-Jahren etablieren sich in schneller Folge sogenannte Boxerro-
mane, die in ihrer Gesamtheit zwar ein heterogenes Korpus bilden, sich in ihrer
Form der Inszenierung, Propagierung und Präsentation des Boxens aber ähnlich
sind: Die Misere des Lebens löse sich, so die Frohbotschaft der Trivialboxlite-
ratur, die den Bedürfnissen nach Information und Zerstreuung gleichermaßen
entgegenkommt, in einer Serie simpler Schläge auf. Ohne dass die Autorinnen
und Autoren die gattungsmäßigen Voraussetzungen diskutierten, werden diese
Romane zum eigenständigen Genre erhoben. Der Roman eines Boxers, der Bo-
xer-Roman oder Ein heiterer Boxerroman11, so die Untertitel dieser Werke, sind
direkt an die Adresse jener gerichtet, die auf der Suche nach Unterhaltung und
Ablenkung sind.12 Die Prosa einer Reihe heute nahezu vergessener Autorin-
nen und Autoren wirft ihr Schlaglicht explizit auf das Boxen, unter anderem
Hannes Bork (Der deutsche Teufel), Horst Hellwig (Der Mann am Faden), Felix
Hollaender (Das Erwachen des Donald Westhof), Ernst Klein (Kämpfer), W. K.
von Nohara (Theo boxt sich durch), Werner Scheff (Der Boxer, zwei Frauen und
ein Pfeil), Max Schievelkamp (In der dritten Runde), Johannes Sigleur (Männer
im Ring), Adolf Uzarski (Beinahe Weltmeister), Victor Witte (Verliebtsein ausge-
schlossen), Ludwig von Wohl (Der große Kampf) und Olga Wohlbrück (Athleten).
Trivialliteratur erweist sich dabei durchaus als „zuverlässigerer Spiegel der men-
talen Verfassung einer Gesellschaft als die Hochliteratur“13; in diesen Texten
lässt sich deshalb eine Vielfalt an Diskursen und Realien zum Boxen finden
– Boxen als Spektakelkultur und Strategie der Daseinsbewältigung; als Utopie,
Männlichkeitsmodell, Extremerfahrung und Schule des Kämpfens; als exklusi-
ver Präsentationsraum für Kraftkerle, Körperstilisierung und Sportler-Heroisie-
rung. Boxen bildet das Erzählgerüst dieser Form der Prosa; den Autorinnen und
Autoren geht es nicht darum, Licht in die dunklen Paradoxien des Boxens zu
bringen; ihre Protagonisten stellen sie als konstruierte Heldenfiguren ins Licht
der Bogenlampen, ganz nach Zeitgeschmack.
10 Vgl. Kessler 1979, S. 601
11 Vgl. Uzarski 1930, S. 3; Schievelkamp 1920, S. 3; Witte 1939, S. 5; Hellwig 1931, S. 3
12 Vgl. Nusser 2002
13 Rothe 1981, S. 147 115
Ringfeldsichtung:
Boxen
in
der
Literatur
der
zwanziger
Jahre |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440