Seite - 116 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Franz Blei (Bildnis eines Boxers), Ödön von Horváth (Der Faustkampf, das
Harfenkonzert und die Meinung des lieben Gottes; Was ist das?), Erich Kästner
(Boxer unter sich), Klabund (Der Boxer; Spuk), Ernst Krenek (Schwergewicht oder
Die Ehre der Nation), Anton Kuh (Wie schreibt man über einen Boxer?), Hein-
rich Mann (Die große Sache), Joachim Ringelnatz (Boxkampf), Kurt Schwitters
(Merfüsermär) und Joseph Roth stellen in Erzählungen, Gedichten, Romanen
und Reportagen dagegen vielfältige Korrespondenzen zwischen dem Boxen
und den zeittypischen Diskursen her; allein von Roth, dem Berichterstatter
der Frankfurter Zeitung und des Prager Tagblatts, ist eine große Zahl boxlite-
rarischer Zeugnisse überliefert: Der Boxer; Die Boxer (II); Training; Der Bizeps
auf dem Katheder; Körperliche Erziehung der Frau; Lobgedicht auf den Sport; Der
Kampf um die Meisterschaft; Heimkehr eines Boxers; Ursachen der Schlaflosigkeit
im Goethe-Jahr; Der Boxer in der Soutane; Der Meister im Museum. 1924 veröf-
fentlicht Roth sein ironisches Lobgedicht auf den Sport, das jeder Bemühung um
Zelebration und Exzellenz spottet. Selbst Gott, hält Roth dem Boxfanatismus
der Zeit entgegen, wirke im Vergleich mit dem, „der Runden schlägt“14, wie ein
„kleiner Mühlenaushilfstreter“15; Goethe sei ein „kleiner Hund dagegen“16, was
einer könne, auf dessen Faust der Segen des „Kinnzertrümmerns“17 ruhe. Die
Autoren der neusachlichen Literatur verstehen es, das weite Feld des Boxens mit
seinen undeutlichen Grenzen und veränderlichen Schwerpunkten gleicherma-
ßen für Kritik, Ironisierung und Marginalisierung zu nutzen.
Die Wortmeldungen von Bertolt Brecht und Robert Musil ragen aus den zeitge-
nössischen Schriftbergen zum Boxen unübersehbar heraus. Brecht und Musil ent-
ziehen sich in den 1920er- und 1930er-Jahren weitestgehend dem Sog modischer
Sportpraxen und widmen sich dem Boxen in vielschichtiger Weise; dem Kampf
mit Fäusten nähern sich Brecht und Musil als einem komplexen kulturellen Be-
deutungsfeld: Boxen als performative Praxis und Interaktion zwischen Sportler und
Publikum; als neue Form der Körperzurschaustellung; als Schlüssel zum modernen
Ich-Erlebnis, das vor dem Hintergrund von Rationalisierung und Technikdenken
von opaker Erfahrungsmöglichkeit bestimmt scheint. Brecht stellt in seinen essay-
istisch-programmatischen Texten Die Todfeinde des Sportes, Das Theater als Sport,
Das Theater als sportliche Anstalt, Die Krise des Sportes, Mehr guten Sport und Sport
und geistiges Schaffen sowie in der Erzählung Der Kinnhaken und in den um 1926
entstandenen, Fragmente gebliebenen Roman- und Biografie-Projekten Das Re-
nommee und Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner erzählt von ihm selber, auf-
14 Roth 1990c, S. 8
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Ebd.
116 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440