Seite - 120 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Boxen zu verschaffen sucht, in Ansätzen steckenbleibt; Spektakel, Starkult und
Sporteuphorie werden nahezu kritiklos und ohne jedes tiefgreifende Zusammen-
denken von externen und internen Praktiken, von Diskurs-, Erkenntnis- und
Wissensformationen im Durchlauferhitzer der Unterhaltungsliteratur dargebo-
ten: Boxen bildet gleichsam eine geschlossene Oberfläche.9 Das wird auf den
folgenden Seiten zu überprüfen sein.
1.
Boxfieber:
Signalfigur
Boxer
Die boxspezifische Trivialliteratur schaltet sich bevorzugt durch Anspielung
und historische Zitate in die Realien des Boxgeschehens. Boxen dient ihr als ein
Vehikel bestimmter Repräsentationen der Wirklichkeitswahrnehmung; die ver-
meintlich authentischen Anteile des Boxens, großzügig aus dem Pool der fre-
netisch-kollektiven Boxsportbegeisterung geschöpft, sollen in der Literatur Si-
gnal- und Vermarktungswirkung entfalten. Der Kult der Faust wird zelebriert:
Kaum ein Haushalt, der vom „Boxfieber […] nicht ergriffen“10 sei, jubelt Johannes
Sigleur in Männer im Ring. Boxen findet in einem Fluidum absoluter Begeiste-
rung statt: In Berlin stehen „Boxkämpfe im Mittelpunkt des allgemeinen Inter-
esses“11. Es herrscht „Gewimmel und Gesumme wie in einem Bienenkorb“12; vor
der Arena staue sich, registriert Olga Wohlbrück in Athleten, eine „unabsehbare,
grollende, heulende, schwatzende, erregte Menge“13. Boxen vertreibt die Tristesse
des Alltags. „Man möchte irgend etwas Verrücktes tun, es ist ja gar nichts los“,
stellt der Baron in Vicki Baums Menschen im Hotel gegenüber Fräulein Flamm
fest. „Man möchte Sie jetzt beißen oder mit Ihnen balgen oder Sie ganz zerknaut-
schen – na, heut abend geh ich zum Boxkampf, da geschieht doch wenigstens
etwas.“14 Die Duelle in den Sportarenen seien jedenfalls schlicht das „Beste“15.
9 Die neueren Forschungen zur Ästhetisierung des Sports im 20. Jahrhundert rücken vom bloßen
Materialstatus der literarisch-linearen Beschreibung spezifischer Sportsektoren ab und fokussie-
ren den Aspekt der Verbindung von Sport und Sprache als Diskursfiguration, die in Form eines
„Gegendiskurs[es]“ (Gamper 2001, S. 38) die fest gefügten Anordnungen des Sportdiskurses
neu zu konnotieren vermag; durch „Perspektivenerweiterung“ (Gamper 2003, S. 45; Hervorh. im
Orig.) lasse sich die „Moral des Sports“ (ebd.) unterminieren, die sich in „stereotypen, reduktio-
nistischen Narrationen durchsetzt und verbreitet“. (ebd.)
10 Sigleur 1940, S. 73
11 Schievelkamp 1920, S. 84
12 Hellwig 1931, S. 61
13 Wohlbrück 1921, S. 102
14 Baum 1988, S. 162
15 Ebd., S. 150
120 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440