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Man stürzt sich deshalb förmlich in den „Strom des Boxfiebers“16: Die Ringduelle
werden in „Gegenwart von Tausenden ausgefochten“17; keine „Stecknadel mehr“18
lässt sich in die dichtgedrängte Menge schmuggeln. Ein beständiges Mitteilen in
Super lativen durchzieht diese Art des Schreibens: Auf dem Programm steht ein
Fight der „größten Weltchampions“19, das „größte Weltereignis des Jahres 1928,
die große Sensation einer großen Zeit“20, so Adolf Uzarski in Beinahe Weltmeister,
wobei die „kultivierte Menschheit aller Länder der Erde […] mit fieberhafter
Spannung“21 und „seit Wochen schon aufgeregt“22 der Galavorstellung entge-
genblickt. Der Berliner Sportpalastsprecher Reinhold Habisch, aufgrund einer
Gehbehinderung „Krücke“ gerufen, wird in Boxerromanen und -sportschriften
zu einem Rollenmodell mit hohem Wiedererkennungseffekt.23 Der Publizist und
Jurist Hermann Sinsheimer notiert im Feuilleton Box-Arena:
An seinem Mund – ein zweiter Thersites – hängt das Ohr der Menge. Sie will von
ihm hören, was sie selbst denkt. Krücke ermahnt die Boxer vor dem Kampf und
spricht ihnen nach dem Kampf das Verdikt – der Obmann und der Sprecher des
riesigen Sport-Scherbengerichts: Wehe den Gerichteten!24
Der Berliner Journalist Kurt Doerry, der im Manifest Boxen entschieden zum
Faustkampfsport rät25, betritt in Max Schievelkamps In der dritten Runde als
Unparteiischer ebenso den Ring26 wie der Schauspieler Harry Lamberts-Paul-
sen – der im Ufa-Stummfilm Die Boxerbraut nur vier Jahre darauf einen Faust-
kämpfer spielen wird – in dem Roman als Ring-Conférencier erscheint und den
Boxer Otto Flint27 ankündigt:
Plötzlich Bewegung unten im Saale. Geleitet von ihren Sekundanten kommen die
ersten Kämpfer Kirch und Kretz.[28] Beide setzen sich auf die sich in der Diago-
16 Sigleur 1940, S. 27
17 Schievelkamp 1920, S. 115
18 Wohlbrück 1921, S. 102
19 Ebd.
20 Uzarski 1930, S. 165
21 Ebd., S. 153
22 Brentano 1981a, S. 47
23 Vgl. Hellwig 1931, S. 58
24 Sinsheimer 1994, S. 234
25 Vgl. Doerry 1928, S. 218
26 Vgl. Schievelkamp 1920, S. 199ff
27 Otto Flint (1893–1964), deutscher Schwergewichtsboxer und Autor; vgl. Faust und Geist-Kapi-
tel „Modische Behelfe: Boxverhaltenslehren“
28 Vermutlich: Fritz Kirch weitere Daten nicht ermittelt; Kretz: nicht ermittelt 121
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440