Seite - 131 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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ihm liegenden Gegners, auf die sehr empfindsamen Nieren. Das Publikum – das
sah man – unterhielt sich großartig. Es wurde dann zur Pause abgepfiffen.104
Beide Kämpfer sind „knock out“105. Damit aber nicht genug. Keller intensiviert
die Vorkommnisse durch das seit dem Barock beliebte Verwirrspiel von Sein
und Schein, Spiel und Ernst. Die Kämpfer liegen
stumm und starr mit den Fußsohlen gegeneinander. Die meisten dachten, sie seien
beide tot. Ein Arzt stürzte herbei, behorchte die Herzen, schüttelte bedenklich
den Kopf. Die beiden Kämpen wurden auf Tragbahren hinausgetragen, die Kapelle
intonierte den Chopinschen Trauermarsch; es war ergreifend. Zum Glück stellte
sich aber heraus, daß sie nur scheintot waren.106
Auf ambivalente Bilder dieser Art sind weite Teile der Trivialliteratur aufge-
baut, in der Absicht, damit auf Umwegen Superlativistisches und Tendenziöses
aus allzu naheliegenden Diskursfeldern zu importieren: Der Boxer erscheint als
„Schläger“107 und „roher Patron“108, der aber einen „edle[n] und männliche[n]
Sport“109 ausübe; der Boxer ist ein „bezahlter Gladiator“110, der zum „Gaudium
des Pöbels“111 seine Gesundheit riskiert, seine „Muskeln ausstellt und sein nack-
tes Fleisch begaffen“112 lässt; geradezu „verächtlich“113 sei es, sich für Geld vor
anderen Menschen zu prügeln; im gesellschaftlichen Leben bringe man für die
Sportler kaum genügend Interesse auf, um „auch nur ‚How do you do‘ zu sa-
gen“114. Das Gefecht mit Fäusten sei ein „ekelhaftes Vergnügen“115, praktiziert
von Muskelprotzen, die „Tiere und keine Menschen“116 seien: „diese rohen Bo-
xer“117. Boxer entpuppen sich einerseits als „Scheusal“118, „Schlächter“119 und
104 Ebd., S. 217f
105 Ebd., S. 219
106 Ebd.
107 Witte 1939, S. 103
108 Ebd.
109 Ebd.
110 Schievelkamp 1920, S. 111
111 Ebd.
112 Wohlbrück 1921, S. 253
113 Hellwig 1931, S. 80
114 Witte 1939, S. 83
115 Wohlbrück 1921, S. 36
116 Witte 1939, S. 106
117 Löffler 1939b, S. 115
118 Wohl 1927, S. 44
119 Ebd., S. 124 131
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440