Seite - 147 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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berücksichtigen: Der Sportler, der das Seilquadrat als Sieger verlassen will, muss
als Vertreter jenes neuen Ordens, für den „Disziplin, Ökonomie und Körperbe-
herrschung“261 entscheidend sind, der Logik von Verausgabung und Kraftan-
strengung folgen, in der Absicht, Psyche und Physis weitgehender „Körper-
ökonomie“262 zu unterwerfen. Brecht wird sich, wie noch zu zeigen sein wird,
der diskursiven Koppelung von körper-, sozial- und wertökonomischen Fragen
intensiv widmen. In den Schriften der Trivialliteratur erscheint Boxen dessen
ungeachtet als reines Spekulationsobjekt mit beträchtlicher Gewinnmarge.263
„Außerhalb seiner gilt beherrschend der bürgerliche Gedanke des möglichst ri-
sikolosen Erwerbs und Erfolgs“264, kommentiert Frank Thiess im Text Die Be-
freiung des Körpers. Die „Determinanten der Ökonomie“265 halten Boxer und
Publikum in Bann und kultivieren diese im Sinne einer simpel anmutenden
Praxis; das Gesetz des Sports und jenes der modernen Ökonomie, so Frank
Becker in dem Beitrag Sport bei Ford, sei „das Gesetz der fein abgestimmten Zu-
sammenarbeit“266. Im trivialliterarischen Schreiben wird der Verführungsgewalt
des Geldes zuallererst signalhafte Wirkung zugesprochen. In Der Leibhaftige
deklamiert der Boxer Willi Gast:
Was die Moneten angeht, so muß das noch anders werden! Gestern habe ich im
Boxring Berlin den dicken Rammel in der zweiten Runde knock out geschlagen
und ein hübsches Geld für 4½ Minuten eingestrichen. Aber einmal ist’s mir selbst
schon so an die Backenknochen gefahren, daß ich drei Tage bei meiner Schwester
[…] wie ’n Plättbrett dalag. Ich kann euch sagen: kein leichter Beruf das. Habe
ich aber mal erst einen ordentlichen Batzen zusammen, schrie er mit gewaltiger
Stimme, dann die Fäustlinge in die Ecke gelegt und ein Haus gekauft mit Garten,
Kuh und hübschem Weibchen!267
Der Boxer mit „Millionen in den Fäusten“268 ist angehalten, spezifische Öko-
nomien des schnellen Geldgewinns zu kultivieren. Um den „Preis von fünf Mil-
261 Wendler 1974, S. 189
262 Müller 2004, S. 47
263 Vgl. Schievelkamp 1920, S. 58, 110 u. 127; Trivia: Otto Friedrich berichtet davon, wie Alfred
Flechtheim bei seiner ersten Picasso-Vernissage zu Hans Breitensträter gesagt haben soll:
„Hänschen, kauf dir eins von diesen Bildern und bewahr’s gut auf, dann wirst du eines Tages ein reicher
Mann sein.“ (Friedrich 1998, S. 290; Hervorh. im Orig.)
264 Thiess 1929b, S. 192
265 Lethen 1994, S. 128
266 Becker 1991, S. 220
267 Thiess 1933, S. 49
268 Hollaender 1927, S. 252 147
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440