Seite - 150 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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nächsten fünf Jahren keine Geschäfte ohne mich zu tätigen […], alle Geschäfte
– alle Kämpfe einzig und allein durch mich abschließen zu lassen. […] Zwei
Drittel aller Einnahmen erhältst du – ein Drittel kriege ich.“288 Die Popularität
des Boxers wird in Der Mann am Faden kurzweg in erwartbaren Profit umge-
münzt. „Vorläufig war noch allerlei Geld aus dem Bengel herauszuholen.“289 Im
Trivialroman agiert der Boxer ausschließlich als Zeichenträger des Monetären
wie als Garant dauerhafter Geldzirkulation. Die diskursiv erweiterten Kontexte
des Ă–konomischen bleiben unberĂĽhrt.
Neben Religion und Ă–konomie punktieren Nationalismus und Militarismus
die Sphäre des trivialliterarisierten Boxens.290 Auf dem Weg der plumpen Verein-
nahmung werden Chauvinismus und Militarismus in die Figur des Boxers pro-
grammiert; der Experte des quasi soldatischen Exerzitiums wird zur Wunschpro-
jektion eines praktisch-sachlichen Figurentyps: Das Vorbild fĂĽr Tugendhaftigkeit
und Disziplin steigt zum Nationalhelden auf, sein Leistungsvermögen291 zum
Ausweis patriotischer Ehre und Stärke; die mit Militärischem assoziierte Männ-
lichkeit „potenziert sich mit der Virilität des Boxers“292. Boxen wird in den Dienst
von Parolen-Mobilisierung und soldatischem Omnipotenz-Gehabe gestellt. Der
Boxsport scheint den Parteigängern der nationalistischen Athletenheroisierung
als repräsentative Re-Inszenierung militärischer Tradition nahezu ideal293 – von
der Etablierung der Vorstellung authentischen Kämpfens über die Erneuerung
des maskulin dominierten Wertekanons bis zur militärischen Modifikation ent-
fremdeten Körperverhaltens.294 Das schlichte Junktim von Boxen, Nationalismus
und Soldatentum findet nicht von ungefähr Verwendung in den Schriften des
aufkeimenden Faschismus, wobei politisch leicht instrumentalisierbare Mystizis-
men ebenso in die Sportdarstellung einbezogen werden wie platte Symbolismen,
die ideologisch ausschlachtbare Bezüge reaktivieren: Boxen, wird in Männer im
Ring verkündet, sei für Männer, denen in Weltkriegsgefangenschaft und langer
Heimkehr das „kämpferische Vorwärts“295 abhandengekommen sei, die geeig-
nete Medizin, um Nerven und Seele wieder in Tätigkeit zu setzen; der boxende
288 Hollaender 1927, S. 257
289 Hellwig 1931, S. 170
290 Vgl. Hoberman 1984, S. 10
291 Vgl. Hollaender 1927, S. 275
292 Haerdle 2003, S. 62
293 Vgl. MĂĽller 2004, S. 70f
294 Vgl. Alkemeyer 2009, S. 49ff; zur historischen Entwicklung des Boxens vor dem Hintergrund
von Ehrenkonflikt und Ersatz fĂĽr Fechtzweikampf seit Ende des 17. Jahrhunderts vgl. Eisenberg
1999, S. 25ff
295 Sigleur 1940, S. 42
150 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440