Seite - 155 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Ein schwarzes, schwatzendes, erregtes Gedränge. Fahl beleuchtet von dem grellen
zischenden Licht der Bogenlampen, die über den Pforten brannten. Nach einer
Viertelstunde hatten sie die Plätze gefunden. Aus dämmriger Höhe schmetterte
eine Blechmusik ihr Trara. Um sie ein bienenschwarmiges Gesumm von Men-
schenstimmen, Köpfe und Leiber in unruhiger Bewegung, jedes Gesicht dem an-
dern gleichend, keines erkennbar, jedes nur Kreatur, die erregt werden wollte, deren
Nerven danach hungerten, gekitzelt und gequält, gespannt und befreit zu werden.
Immer neue Zuschauer wimmelten durch die Eingänge, kleinen schwarzen Bä-
chen gleichend, die in die Schüssel des Riesenraums sich ergossen und ihn bis zum
Rande der Galerie mit Köpfen füllten. Über allem der Geruch nach Pferden, der
ungelüftete, verbrauchte Dunst der kalten Halle. Ungewisses, schlechtes Licht, das
von Leuchtkörpern kam, die in der Kuppelspitze hingen, erhöhte die Ungemüt-
lichkeit, freilich auch das Gefühl für das Außergewöhnliche, fast Gespenstische
des Vorgangs. Und plötzlich zischten die Jupiterlampen über dem Ring. Der Saal
mit seinen sechstausend Köpfen tauchte ins Dunkel zurück; der Ring, in den die
Kämpfer treten sollten, leuchtete grell auf.343
Der Kampfabend nimmt langsam Fahrt auf: „Blitzlichter blitzten“344, „Schein-
werfer ergießen blendendes Licht über den Ring“345, der mittige Kampfplatz
von „starken Bogenlampen grell beleuchtet“346. Licht-Inszenierungen dominie-
ren dann auch den Duellverlauf: „Die riesige, unter dicken Nebeln der Leiden-
schaft flimmernde Arena wird zu einem speienden Krater, zu einem einzigen
tosenden Maul“347, berichtet 1928 der Berliner Lokal-Anzeiger. „Die Lichter
umwölken sich. Die Frauen kreischen und recken die Arme.“348 Angekommen
im grellen Geflimmer der Lampen oder in der Tageshelle der Freiluftarenen,
sehen sich Boxer der kritischen Überprüfung durch das Publikum ausgesetzt
und dem Blick der „‚gnadenlosen‘ Sachlichkeit“349 ausgeliefert: „Grell rissen die
Tiefenstrahler die müden Kämpfer aus der dunstigen Atmosphäre.“350 Gleißend
fällt in Athleten das „Sonnengold eines hellen Maitages auf den wundervollen
343 Thiess 1933, S. 210
344 Nohara o. J., S. 54
345 Sigleur 1940, S. 64
346 Nohara o. J., S. 58
347 Zit. n. Kluge 2004, S. 90
348 Zit. n. ebd.
349 Lethen 1995, S. 408; vgl. Schneyder 1986, S. 67: „Das Saallicht zeigt, wie jung, wie nervös, wie
pickelig und wie verschwollen diese Burschen sind, zeigt, wie sich die Fahrigkeit und Nervosität
der Funktionäre und Trainer auf die Boxer übertragen.“
350 Witte 1939, S. 7 155
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440