Seite - 157 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Die in vielen trivialliterarischen Texten zum Boxen in Anschlag gebrachte
Instrumentalisierung des Gegensatzpaars von (dramatisierter) Geräuschlosig-
keit und Getöse, von „Totenstille“363 und „Geheul“364, das wie „Kanonendonner
in den Ohren“365 klingt, markiert endlich eine weitere Stufe diskursiver Prakti-
ken. Als Hörbild reiht sich Boxen in die Zwischenkriegszeit, die, wie in Berlin,
durch lärmendes Chaos bestimmt scheint:366
Es würde Platz werden für Fabriken und Gewerbehallen, für Messeburgen und
Flugzeughäfen, für Zweckgeburten aus Glas und Eisen! Die Ingenieure der In-
dustrie träumten davon, daß die Luft sich tags verdunkeln und nachts erhellen
würde von den Schwärmen der Doppeldecker. Ihr Surren tönte schon jetzt bis
in die Nacht durch alle Scheiben, – der Takt der Luft! Bald würde sie zur Ruhe
gebracht sein, die Stille! Der Explosionsmotor ist die Sekundenuhr der Erde. Stille
ist Absonderung. Lärm ist Zusammensein. Wer die Ruhe braucht und liebt, ist
Schwächling, ein seelenzermürbter Reaktionär, den der Tod vergaß! Wer nicht im
Gehämmer schlafen kann, tief und erquickend wie der Imperator mit den unter-
schlagenen Armen im Kanonentoben der Schlacht, der ziehe sich still aus der Zeit.
Gas, Unterernährung, der Sprung von der Brücke stehen jedem frei!367
„Er schlug den Ball in regelmäßigen Schlägen an das Holzdach“368, lässt auch
Ludwig von Wohl den Boxer Charles Marrautier in Der große Kampf geräusch-
voll trainieren. „Es krachte wie Revolverschüsse.“369 Dann ertönt der Gong und
ruft die Opponenten in die Mitte des Sportfelds. „Die Halle wird unbeschreib-
lich stumm für den Kampf“370, ist in Menschen im Hotel das Wechselspiel von
atemlos-stiller Aufmerksamkeit und schnaufend-grölender Gereiztheit in der
Boxarena festgehalten:
Dann, mitten in die Stille hinein, der dumpfe, runde Schall von Leder – und der
Saal rauscht zum erstenmal auf bis ganz oben hin, wo im Dunst die tausendge-
sichtige Galerie unter dem Sparrenwerk des Daches verschwimmt. […] ‚Brechen!‘
schreit die Halle mit vierzehntausend Kehlen.371
363 Sigleur 1940, S. 95
364 Ebd., S. 46
365 Ebd.
366 Vgl. Hermand, Trommler 1988, S. 313ff
367 Gurk 1980, S. 251
368 Wohl 1927, S. 24
369 Ebd.
370 Baum 1988, S. 170
371 Ebd., S. 168 157
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440