Seite - 163 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Alle Muskeln gespannt, tänzelte er auf den Zehenspitzen weiter um den Sandsack
herum, im schnellsten Tempo Schläge austeilend, als gälte es sein Leben.14
Boxen erscheint, diskursiv verdichtet, als eine Art Körper- und Daseinsexperi-
ment, das im privaten Drill-Laboratorium erprobt wird. Boxen spielt sich auf
der Bühne des Individuellen ab, in Form eines alltagsgeschichtlichen, noch kei-
neswegs sonderlich wichtigen existenziellen Requisits: Der Hobbyboxer Tho-
mas, der „geistig ganz anders geartet war, einer anderen Generation angehörte,
deren beste Vertreter durch die umwälzenden Ereignisse des letzten Jahrzehntes
gelernt hatten, sich einer scharfen und reinen Sachlichkeit anheimzugeben“15,
strebt ein Universitätsstudium an.16 Boxen selbst wird zum Accessoire. Fast bei-
läufig wird der Sport anschließend als Faustschlägerei in das Romangeschehen
eingebettet. In einer Weinstube stellt Thomas einen stadtbekannten Raufer, der
den Begleiter Hannas attackiert hat. Thomas wird stellvertretend zum Ehren-
duell aufgefordert wird, worauf er nicht eingeht. Deswegen wird er auf offener
Straße hinterrücks von dem Schläger aus der Schenke attackiert.17 Es bildet sich
ein „dicker Kreis“18 von Menschen um die Duellanten; Thomas zieht „Rock und
Weste ganz langsam aus, um Zeit zu gewinnen“19:
Und dann gab es ein Schauspiel, wie es in Würzburg seit seiner Gründung noch
nicht gesehen worden war und noch vor wenigen Jahren auch in keiner andern
Stadt Deutschlands möglich gewesen wäre. Noch vor zehn Jahren würden die
Gegner getrennt worden sein, und in Würzburg hätte dieser Vorfall mit einer all-
gemeinen Keilerei geendet. Aber im Jahre 1927 war der Sportsgeist schon bis in
die Dörfer gedrungen, und ein Störer dieses Kampfes hätte den Zorn aller Zu-
schauer auf sich gezogen.20
In Das Ochsenfurter Männerquartett finden sich gleich mehrere boxliterarische
Diskursstränge versammelt. Der raufende Thomas bewegt seine Arme wie eine
„langsam anlaufende Zweizylinderdampfmaschine“21, und zugleich agiert er
bedachtsam und überlegt – als „Kopfboxer“22: Mit den Bereichen Körper und
14 Frank 1936, S. 94
15 Ebd., S. 159
16 Vgl. ebd., S. 41f
17 Vgl. ebd., S. 91ff
18 Ebd., S. 97
19 Ebd.
20 Ebd., S. 97f
21 Vgl. ebd., S. 98
22 Vgl. ebd. 163
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440