Seite - 172 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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legt sich während des Kampfs denn auch, „von unwiderstehlichem Drang be-
zwungen“69, neben Alvarez auf den Ringboden: „Der Anblick hatte aber für alle
etwas Versöhnliches.“70 Der Boxer, der bestimmte Prinzipien der Ökonomie von
Kraft, Durchhaltevermögen und Ringstrategie kultivieren und die Affekte von
Reiz und Reaktion kanalisieren muss, scheint buchstäblich leergeboxt. Boxen
als die trivial-literarische Inszenierung des äußersten Extrems wird subversiv
unterlaufen, indem Boxen in Beziehung zu spezifischen, kleinteilig herunterge-
brochenen Wissens- und Disziplinartechnologien gesetzt wird, deren Effekte
direkt – und längerfristig – Wirkung zeigen. Der Chronist, der in Joseph Roths
Feuilleton Der Kampf um die Meisterschaft mit geradezu „homerischem Auf-
schwung“71 erzählt, berichtet deshalb auch im Ton des Expertentums:
Ich werde diesen Abend nie vergessen, an dem der Kampf um den Lorbeer des
deutschen Meisterboxers ausgefochten wurde. Auch Berlin wird, so schnellebend es
ist, diesen Abend nicht vergessen. […] Es war ein erhebender Abend. Der Draht
hat der Welt bereits die Nachricht überbracht, daß nicht mehr Hans Breitensträter,
sondern Samson-Körner des deutschen Volkes Meisterboxer ist.72
Roth bezieht in weiterer Folge die langfristigen Auswirkungen des Meister-
schaftsduells mit ein. Im Gegensatz zum nicht weiter ausgeführten Versager-
und Biedermann-Topos der Trivialliteratur entfaltet die elaborierte Prosa ihre
Effekte:
Die Mehrheit schenkte ihre Gunst dem Samson, von dem die Berichte rühmend
hervorheben, daß er ein einfaches möbliertes Zimmer bewohnt, genauso wie ich
und du. Der Breitensträter aber hat einen reichen Schwiegervater, und die un-
terrichteten Zeitungsleute behaupten, daß er jetzt eine wohldotierte Weinstube
übernehmen wird.73
„Es ist nicht gut, lange Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu sein“, gibt der Ich-Erzäh-
ler in Der Kampf um die Meisterschaft zu bedenken. „Lieber ist mir die gemütliche
Stille einer Weinstube, besonders, wenn sie mir gehört.“74 Auch der Neo-Weinstu-
ben-Besitzer Breitensträter wende sich „nunmehr den edlen Künsten zu, und kein
69 Ebd., S. 151
70 Ebd.
71 Zweig 1982, S. 76
72 Roth 1990d, S. 72f (Hervorh. im Orig.)
73 Ebd., S. 74
74 Ebd.
172 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440