Seite - 177 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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(Renn’ eahm nieda!) rast die Arena von Bangkong.“106 Im Feuilleton Die Boxer (II)
verzichtet Joseph Roth bei der Vorstellung der Athleten im Ring kurzerhand auf
die Herstellung der für das Boxen gewohnheitsmäßigen konfrontativen Grund-
konstellation; die Namen der Boxer bleiben im Text unerwähnt – Namenlos gegen
Namenlos, die bitterböse Groteske eines Boxduells: „So werden die Boxer dem
Publikum namentlich vorgestellt, und sie verneigen sich artig, als wären sie im
Gesellschaftsanzug. Die Schöße ihrer nicht vorhandenen Cutaways ragen gewis-
sermaßen hinten in die Luft.“107 Die Erzählung Bildnis eines Boxers von Franz Blei
rückt den nahezu sakralen Akt der Kampfnamensbenennung schließlich in den sa-
tirischen Mittelpunkt: „Mit dem Namen, den er heute als seinen dritten oder vier-
ten trägt, steht er nicht im Taufregister seiner Pfarrgemeinde als das zweite Kind
irgendeiner geborenen Soundso, verehelichten Krause oder Huber“108, schreibt
Blei über seinen Helden. Es ist nur konsequent, dass der Autor – wie Roth in Die
Boxer (II) – den Geburtsnamen in diesem Bildnis eines Boxers verschweigt. „Auf der
Brigg bekam er seinen ersten Namen“109, heißt es weiter über den Boxprofi-Aspi-
ranten, der mit 15 Jahren zur See geht: „Weil er über manche Scherze rot wurde,
seinen Leib mit Sorgfalt pflegte, sein Essen nicht hinunterschlang und am Land
in keine schlechten Häuser ging“110, wird er auf der Segelbrigg „die Jungfer“111
genannt. Nach vier Jahren Aufenthalt als Arbeiter in der Steppe steht ein erneu-
ter Namenswechsel an: „Man nannte ihn den gelben Bill, seiner blonden Haare
wegen. Und man hatte ihn gern, seiner jungen Kraft wegen.“112 Der Boxername,
den der Junge endlich verliehen bekommt, kokettiert nur mehr mit dem Anschein
von Authentizität; was als Pseudonym zur gezielten Identifikation bestimmt ist,
erweist sich als Nachweis von Leere: „Als der gelbe Bill zum erstenmal den Ring
betrat, in Montevideo“, berichtet der Erzähler in Bildnis eines Boxers über die Kar-
riere des Helden im Schnelldurchgang, „nannte er sich, seinem Lehrer zu Ehren,
wie dieser, Simone Guaja“113. Simon, der Gauner. Wie der Boxer gerufen werde,
beruhigt Blei, sei ohnehin wichtiger, als wie er tatsächlich heiße: „Die Behörde,
die ihm einen Paß ausstellt, sie fühlt den Embryonamen staatlicher Polizei und
bürgerlicher Reputation so nebensächlich, daß sie das ‚genannt‘ vor den anderen
drei Benennungen des Helden zweimal unterstreicht.“114
106 Ebd.
107 Roth 1989b, S. 999
108 Blei 1994, S. 18
109 Ebd., S. 19
110 Ebd.
111 Ebd.
112 Ebd., S. 21
113 Ebd., S. 22
114 Ebd., S. 18 177
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440