Seite - 180 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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repliziert Ochsenschwanz, dass die seinige besser sei.123 Der elitäre Habitus
des Boxheroen schlägt, zugespitzt durch die von Krenek intendierte operetten-
haft-musikalische Struktur des Textes, ins Lächerliche und nahezu Absurde um;
die Selbstgewissheit des Faustathleten löst sich vollends in blamable Selbstent-
blößung auf: das Idol der Massen als Barde, Liedzeilen trällernd. Der Boxer –
ein blutiger Witz. Zur Entstehungsgeschichte von Schwergewicht oder Die Ehre
der Nation notiert Krenek in seinen Erinnerungen Im Atem der Zeit:
Den Anstoß dazu gab ein Bericht über eine unglaubliche Äußerung, die der dama-
lige deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten anläßlich eines Besuchs von
Max Schmeling oder eines derartigen deutschen Übermenschen von sich gegeben
hatte. Er hatte gesagt, daß heutzutage Preisboxer die eigentlichen Kulturträger
seien, nicht mehr Wissenschaftler oder Künstler. Davon angestachelt schrieb ich
eine kleine Operette, die einen dieser Helden, der als „Stolz der Nation“ bejubelt
und mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet wird, als widerwärtigen Schwachkopf
bloßstellt und ihn in den beschämendsten privaten Situationen zeigt.124
Erscheint Ochsenschwanz auf der Szene, tritt ein „brutales Scheusal“125 vor den
Vorhang, begleitet von den maliziösen Kommentaren seiner Frau. „Es ist doch
schön, dass er mit seiner Kraft so dumm ist.“126 Den unwiderlegbaren Beweis da-
für tritt Ochsenschwanz im erwähnten Gespräch mit dem Journalisten an. In der
Absicht, den Boxer als stereotype Figur sinnentleert stammeln zu lassen, greift
Krenek auf die dialogische Rede zurück; durch die konsequente Kombination von
(listigen) Fragen und (disqualifizierenden) Antworten setzt als Folge die Enthül-
lung eingespielter Vorstellungsmuster über das Boxen ein. An Ochsenschwanz
wird der Mechanismus der satirischen Entlarvung exemplarisch durchgespielt:
Der Journalist […]: Ihre Eindrücke von Amerika? […]
Ochsenschwanz: Zu trocken! […]
Der Journalist (nimmt es als Antwort und notiert): Der Meister liebt Alkohol.
Ochsenschwanz (hat ein Getränk gekostet): Die Milch ist nicht temperiert. […]
Der Journalist (fährt entsetzt zurück): Was sagen Sie zu Beethoven?
Ochsenschwanz: Lassen S’ mich mit diese Dilettanten in Ruh’!
Der Journalist: (belustigt für sich): Großartig!
Ochsenschwanz: Die Meister kenn’ ich alle von Dempsey bis Paolino. […]
123 Vgl. ebd.
124 Krenek 1999, S. 728
125 Krenek 1974, S. 173
126 Ebd.
180 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440