Seite - 191 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Die nächste Folge dieser Verbrüderung ist der Schlag eines Boxers gegen die Brust
des andern. Es dröhnt hohl wie der Schlag gegen ein Eisenschild. Es war das ei-
serne Herz in des Streiters Leibe. Darauf erfolgt ein dumpfer Laut. An der Tönung
erkennt man, daß eines Boxers Gehirn getroffen ist. Eine Nase blutet – rot und
leuchtend fließt der ganz besondere Boxersaft über Mund und Kinn auf die Brust.
Dann schlägt ein Körper hin, auf die Bretter.185
Die Zuschauerinnen, mit „besondere[r] Sachkenntnis“186 begabt, rätseln dage-
gen in Heinrich Manns Die große Sache:
Die Frage und der Vorgeschmack waren nur das Blut. Über welchen der beiden
geölten Manneskörper sollte heute das Blut fließen? Wer steckte mehr ein? Wer
blutete mehr? Womöglich beide gleich viel! – hofften manche. Andere hätten lie-
ber den bronzenen oder lieber den weißen überrieselt gesehen von verhängnisvol-
len Bächen.187
Der Autor löst die Erwartungshaltung an die Athleten bereitwillig ein: „Sie
bluteten, prügelten, hakten sich ineinander fest.“188 Die Feier des Brutalen im
Gewande eines von Kampf und Konkurrenz geprägten Körperverständnisses
wird in das literarische Versuchsfeld überführt; die gebräuchlichen Motivrei-
hen der alltagsrealen wie trivialidealistischen Erwartungen ans Boxen werden
durchgespielt und in erweiterte Diskurse transportiert, die wiederum neue Per-
spektiven eröffnen. „Die Boxer werden wütend. Zinnoberrote, behandschuhte
Fäuste tänzeln, schwenken, stoßen, schieben, sausen durch die Luft“189, notiert
Joseph Roth bereits 1919 im Feuilleton Der Boxer:
Zickzack und kreuz und quer. Dann erfolgt ein helles Dröhnen, wie wenn ein
Pflasterstein auf eine Dachrinne fiele. Es ist nur ein Brustkasten. Sein Besitzer
taumelt mitsamt seinem musikalischen Instrument.190
Der Korpus des Boxers ruht auf fragilem Fundament; die weithin zele-
brierte Logik des Leistungskörpers und die damit einhergehende Eintönig-
keit des Boxens finden sich in Der Boxer mit einem ironisierten Ästhetizismus
185 Ebd.
186 Mann 1972, S. 145
187 Ebd.
188 Ebd., S. 149
189 Roth 1989a, S. 143
190 Ebd. 191
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440