Seite - 205 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Der Sportübungsdiskurs wird semantisch umbesetzt und das heroisch Strah-
lende des Boxens in Zweifel gezogen. Im Trainingssaal vernimmt der Besucher
„Schädelgedröhn und Rippengekrach“284: „,Kontern‘ und ,krossen‘ nennt man
so was.“285 Dem Treiben im Körperschmiederaum haftet der Ruch des Bedroh-
lichen, Gewalttätigen und Martialischen an: Der für Übungszwecke benötigte
„Gummiball knattert wie Kanonendonner durchs Haus“286; konsequent bettet
Roth die Bilder aus der Übungskammer in das blutige Spektakel studentischer
Korpsmensur: „Ich sah zwei gekreuzte Degen hoch an der Wand, die eine Stu-
dentenkappe versöhnend verband und am Kreuzungspunkt verdeckte“287, so der
Reporter. Die Fechtausrüstungen, Masken und Handschuhe stellten, fährt Roth
fort, „merkwürdige Kompromisse […] zwischen der menschlichen Mordlust
und der menschlichen Angst um Nase und Gliedmaßen“288 dar: „So ist von der
Wand her gleichsam der historische Zusammenhang hergestellt zwischen Ver-
gangenheit und Gegenwart. Ein unsichtbares Band getreuer Tradition schlingt
sich von den Stricken der Arena zu jenen gekreuzten Degen.“289 Körper- und
Menschenformung, vollzogen durch Drill und Disziplin, werden diskursiv neu
konturiert. „Es sieht wie ein Sofa aus, und ich stelle mir vor, daß ich, läge ich
darauf, in einen genußreichen Schlaf verfallen könnte“290, protokolliert Roth,
vor dem Ruhelager des Boxers stehend:
Der Boxer aber hat sich nicht zu solchen törichten Zwecken hingelegt: Kaum lag
sein Körper, und schon atmet er aus tiefsten Brusttiefen. Er zieht die Luft ein wie
einen festen Gegenstand. Was andere sonst frei treiben, dazu ist bei ihm eins, zwei,
drei nötig. Er macht sich freiwillig das Atmen zur Qual und verbittert sich das Le-
ben, indem er den Oberkörper auf- und niederschwingt und mit hocherhobenen
Armen Beschwörungsbogen durch die Luft zeichnet.291
Im „nur schwach geregelten Leben“292 abseits von Training und sportivem Tau-
ziehen halte es den Boxer nicht, markiert indes Franz Blei in Bildnis eines Boxers
ironisch die Wehleidigkeit des Kraftmenschen: „Die Bändigung der sinnlos wal-
tenden Natur ist die Zucht, die sich der Mensch gibt, um sich einzuordnen in
284 Ebd., S. 771
285 Ebd.
286 Kästner 1998a, S. 172
287 Roth 1989c, S. 769
288 Ebd.
289 Ebd.
290 Ebd., S. 770
291 Ebd.
292 Blei 1994, S. 21 205
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440