Seite - 213 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Verbindung scheint evident: Die Einbeziehung zeitdiskursiven Geschehens,
das einer „technischen, praktischen, ökonomischen, sozialen oder politischen
Ordnung“346 zugehören kann, beugt einer rein funktionalistischen Konzeption
der boxerisch-zeitgenössischen Realitätspartikel in der Erzählprosa vor. Erst
auf diese Weise lässt sich der patriotische Chauvinismus, der mit Boxen in den
1920er-Jahren einhergeht, sowie die fast religiöse Verklärung dieses Sports –
dargeboten als massenwirksames Licht-Lärm-Spektakel – entschlüsseln, wie
im Folgenden gezeigt werden soll. Erst der Rückgriff auf einen dimensional
erweiterten Machtbegriff erlaubt es, Boxen als einen spezifischen Ausdruck
von Macht zu beschreiben: Die Anziehungskraft und Akzeptanz der Macht, so
Foucault in seinen Schriften, liege nämlich darin, dass
sie nicht bloß wie eine Macht lastet, die Nein sagt, sondern dass sie in Wirklichkeit
die Dinge durchläuft und hervorbringt, Lust verursacht, Wissen formt und einen
Diskurs produziert, man muss sie als ein produktives Netz ansehen, das weit stär-
ker durch den ganzen Gesellschaftskörper hindurchgeht als eine negative Instanz,
die die Funktion hat zu unterdrücken.347
Polemische Parodien auf den nationalisierten Charakter des Boxens sind häufig
belegbar: „Zwanzigmal hörte ich den Satz, daß der Boxsport eine nationale Ange-
legenheit geworden“348, lässt Joseph Roth in Der Bizeps auf dem Katheder seinem
Überdruss bereits auf der Satzebene freien Lauf, indem er die indirekte Rede ver-
kürzt. Roth nimmt die dauerkursierende Phrase, die durch fortlaufende Wieder-
holung gesellschaftliche Macht ausübt, in sein Poesieprogramm auf und ironisiert
den Sermon des Chauvinistischen. Anton Kuh gibt in Wie schreibt man über einen
Boxer? das diskursive Beziehungsmuster zwischen Boxen und Nationalismus, das
unter Hitler in Militarismus und Rassismus ausufern wird, auf metaphorischer
Ebene der Verzerrung preis: Der Boxer, appelliert Kuh, möge in „seinem Bizeps
das Ansehen des sterbenden Europa vor der Umwelt“349 herstellen. Nationalismus,
Heldentum, Metaphysik und Witz verschweißt dieser Autor zu kühnen Bildern
und Parodien: Der Heimatort des Boxers habe einen „Ratssitz im Völkerbund er-
halten nebst einem unverzinslichen Darlehen. Europa wölbt ihm die zusammen-
Wörter nexus und nectere sind semantisch wesentlich offener und bezeichnen zunächst bloß Zu-
sammengebundenes oder Ineinandergewobenes, können allerdings gleichzeitig eine rechtliche
Obligation oder ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zum Ausdruck bringen, während
nodus, der Knoten, stets auf komplexe Beziehungen und Verwebungen verweist.“
346 Foucault 2001, S. 901
347 Foucault 2003, S. 197
348 Roth 1990a, S. 56
349 Kuh 1963, S. 71f 213
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440