Seite - 218 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Farb- und Lärmphänomenen im Ring abgewinnen kann, das zeigen die Notizen
Vladimir Nabokovs, die dieser am 1. Dezember 1925 im Berliner Sportpalast
macht, beim Kampf des Basken Paolino Uzcudun gegen Hans Breitensträter.
Paolino erscheint in Spiel, so der Titel von Nabokovs Bericht, in einem „hellen
Mantel, der bis zu den Fersen reichte“377; sein Gegner in „mausgrauem Man-
tel“378. Es sei das Licht, so Johann Kreuzer im Wörterbuch der philosophischen
Metaphern, das „Einsicht und sehendes Erkennen ermöglicht“379. Licht fungiere
als „Formel für ein das Dunkel der Verstrickung ins Dies-da durchdringendes
Wissen“380. Nabokovs Beobachtungen bündeln paradox Faszinationspotenzial
und Missbilligung des Boxens:
Dieser silberne Würfel inmitten des dunklen riesigen Ovals, wo dichtgedrängte
Reihen zahlloser menschlicher Gesichter den Zuschauer von oben an reife Mais-
körner erinnern, die auf schwarzem Grund ausgestreut wurden – dieser silberne
Würfel schien nicht mit Hilfe der Elektrizität erhellt, sondern durch die konzen-
trierte Kraft aller Blicke, die sich aus der Dunkelheit heraus auf ihn richteten.381
Nabokov entwirft ein in den Raum der Arena gespanntes Netz an Blicklinien
und Akustikfeldern, in welches das Publikum, die Gebäudearchitektur sowie
das Hell-Dunkel-Farbenspiel miteinbezogen sind. Breitensträter greift an, „und
das Stöhnen verwandelte sich in polternde Begeisterung“382; bei jedem Schlag,
den der Deutsche abbekommt, so der Augenzeuge Nabokov, „sog mein Nachbar
pfeifend die Luft ein, als hätte er selbst den Schlag versetzt bekommen, und mit
einem ungeheuren, übernatürlichen Schnauben schnaubte die ganze Dunkel-
heit, alle Ränge“383. Die Niederlage Breitensträters beginnt sich abzuzeichnen.
Das Publikum reagiert: „Wütend und wild begann es in der Dunkelheit zu heu-
len.“384 Im Schlussbild seiner Notizen verknüpft Nabokov, der, wie gerade ge-
zeigt, die einzelne Rede über das Boxen als Teil eines umfassenderen Diskurses
versteht, den Faustkampfsport mit alltagskulturellen Mustern:
Der Wettkampf war beendet, und als wir in den Massen auf die Straße strömten,
in das frostige Blau der Schneenacht, war ich sicher, dass selbst der schlaffste Fami-
377 Nabokov 2001, S. 78
378 Ebd.
379 Kreuzer 2008, S. 208
380 Ebd., S. 221
381 Ebd.
382 Ebd.
383 Ebd., S. 79
384 Nabokov 2001, S. 79
218 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440