Seite - 222 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Nun lassen sich die Streiter in StĂŒhle fallen, von ihren Sekundanten massieren, mit
Genesungswasser waschen, Marke:Â
Gesundbrunnen. Und dann wiederholt sich al-
les â und nur die Kenner sehen die Nuancen und belegen jede Ohrfeige mit einem
Spezialausdruck. Das geht so lange, bis man glaubt, einer sei tot. Er ist aber nur
besiegt â und erhebt sich, wenn der Photograph kommt fĂŒr die Ewigkeit knipsen.
Das Publikum verursacht einen Beifallsplatzregen und die Blechmusik ein Tusch-
gewitter. Die feindlichen Boxer stehen Hand in Hand, ein Propagandabild fĂŒr den
internationalen Pazifismus.400
Spektakel und Sensation des Boxens werden durch zirkusÀhnliche Bilder kon-
terkariert, die zugleich als Anleitung zum detailscharfen Hinsehen begriffen
werden können; mit Hilfe eines subversiven Manövers schiebt der Autor vor
das RinggetĂŒmmel die Filtereinstellung prĂ€ziser Wahrnehmung. Roth lĂ€sst be-
reits vier Jahre zuvor in Der Boxer einen schlanken, glattrasierten Herrn zir-
kusdirektorengleich in den Ring treten, der von der Rampe herab âin einem
garantierten Englisch-Deutsch, das geradezu nach Seesalz schmeckt, Beginn,
Wesen und angeblichen Zweck der Boxereiâ401 erklĂ€rt. Die atmosphĂ€rischen
Arena-Impressionen und sportkritischen Reflexionen ergÀnzen und kommen-
tieren sich wechselseitig: âDann stellt er einen neuen Boxer vor, in dem er die
âOuehreâ hat.â402 Das Spektakel hebt an, der Boxer erscheint auf der BildflĂ€che:
âDer Mann macht einen deprimiert-feierlichen Eindruck, etwa wie ein Kon-
firmand. Ein Smoking hĂ€lt ihn mit einem Knopf gefesselt. Die Ărmel laufen
ohne Ăbergang plötzlich in zwei ganz ĂŒberwĂ€ltigende FĂ€uste aus. Der Mann im
Smoking verschwindet.â403 Der zeitgemÀà bedingten Akzentuierung der Boxer-
figur ins Monumentale werden metaphysisch ĂŒberhöhte Athleten-Spottbilder
entgegengesetzt; die Sportartisten in der Zirkuskuppel: ratlos. âDie Boxer setzen
sich. MĂ€nner in HemdsĂ€rmeln fĂ€cheln mit Ăberzeugung und HandtĂŒchern auf
die Boxer los, massieren mit Franzbranntwein und Andacht. Die Boxer sitzen
unbeweglich-erhaben wie indische Gottheiten.â404
Sinnentstellung in Joachim Ringelnatzâ Box-Kampf
âBums! â Kock, Canada: â Bums! / KĂ€sow aus Moskau:Â Puff! puff! / Kock der
Canadier:Â â Plumps!â405, imitiert der Beginn von Joachim Ringelnatzâ Gedicht
400 Roth 1989b, S. 999f
401 Roth 1989a, S. 143
402 Ebd.
403 Ebd.
404 Ebd.
405 Ringelnatz 1984c, S. 96
222 | Teilï»ż
II.ï»ż
Imï»ż
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂŒberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂŒckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und NebenschauplÀtze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten ErzÀhlliteratur 160
- âZeitfigurâ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440