Seite - 231 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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ins Operettenhafte. Der Sohn schwört: „Ich liebe dich.“481 Darauf der Vater,
brüsk: „Pfui Teufel. Ich dich nicht.“482 Christian bietet Munk an, stellvertretend
für den Vater in den Ring zu steigen, worauf Letzterer in gezähmter Wildheit
wie „Selterswasser“483 aufbraust und den Sohn als unerbetene Folge einer alko-
holseligen Nacht verunglimpft:
Ein blutarmes Bürschelchen. Ich bin die Kraft, die Wildheit und die Würde. Ich
trotze. Mein Saft schwillt. Wie ich dich gezeugt habe, bleibt mir ein Rätsel. Ich
hatte schon zwölft Kulmbacher hinter mir. Und ich wollte dich nicht: du Nichts,
du Kaum, du Ach.484
Die Sicht auf das Boxen wird gegen Ende des Erzählabschnitts buchstäblich
eingetrübt. „Nach kaum fünf Minuten wurde Munk auf einer Bahre blutüber-
strömt hereingetragen. Der Chinese hatte ihm beide Augen aus dem Kopf ge-
schlagen.“485 Boxen hat nichts mehr mit Sport zu tun, sondern ist in bizarren,
exaltierten und grell nationalistischen Formen erstarrt: „Ich hörte noch den
Manager kreischen: ‚Gott sei Dank haben wir in Berlin ein Institut für künst-
liche Menschenaugen. Berlin in Deutschland, Deutschland in Europa, Europa
in der Welt voran.‘“486 Munks Ringniederlage provoziert am Ende entlarvendes
Deklamieren: „Es gab keine europäische Weltanschauung mehr.“487 Die Pointe
ist überdeutlich: Boxen erreicht die Regionen des Gesellschafts- und Sportkla-
mauks – wahrlich eine komische Situation, die neue Möglichkeiten eröffnet.
Boxfabeln in Ödön von Horváths Sportmärchen
Ödön von Horváth betrachtet Boxen aus erweiterter Perspektive, indem er die
Modeerscheinung mit der „stark schematisierte[n] Gattungstypologie des Mär-
chens“488 kurzschließt, um so zur „Verfremdung des üblichen Blickwinkels“489
beizutragen. In der Erzählung Was ist das? entfaltet sich etwa im Schnelldurch-
lauf die Geschichte eines Zwillingspaars, das sich bereits in der „ersten Runde
481 Ebd.
482 Ebd.
483 Ebd.
484 Ebd.
485 Ebd.
486 Ebd.
487 Ebd.
488 Gamper 1999, S. 154
489 Ebd. 231
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440