Seite - 232 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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[seines] Daseins“490 hasst; als „Schwergewichte“491 in der Disziplin Ringen ver-
suchen die beiden durch Heimtücke den Tod des jeweils anderen herbeizufüh-
ren; durch Erwürgen, Vergiften, Erschießen492, wobei die Letalität des Schuss-
attentats durch zu „Stein trainierte Muskelteile“493 vereitelt wird. Lebensende
und todbringende Leidenschaften der Brüder tendieren letzten Endes auch hier
ins Märchenhafte: „Und so leben die beiden neunzig Lenze lang. Aber eines
Nachts schläft der eine beim offengelassenen Fenster, hustet dann morgens und
stirbt noch am selbigen Abend.“494 Was das sei, fragt der Erzähler nach der Mo-
ral des Lehrstücks: „Ein Punktesieg.“495 Tragik dient Horváth zur Steigerung
des Komischen; die Kritik Horváths am Sportboom verfinge aber wohl nicht,
konstituierte der Autor eine bloße Kunstwelt. Der Blickwinkel auf das Boxen
entscheidet – und ändert sich. In den Sportmärchen meldet sich deshalb auch
kein sinnlich-körperlich an der Sportsensation partizipierender Literat zu Wort,
sondern der opponierende Intellektuelle Horváth, der als Erzähler im Gewande
eines Sportfanatikers die Begeisterung der wimmelnden Menschenmassen am
modernen Gladiatorengefecht demaskiert: Die Literarisierung des Boxens geht
nicht mehr allein vom Gegenstand des Boxens selbst aus, sondern vom Blick
dessen, der diesen Gegenstand anschaut, analysiert, aburteilt. Auf diese Weise
gelingt es Horváth, auf die Trennungszone zwischen der äußeren, suggestiv mit
der Signatur Boxen aufgeladenen Realität und dem erlebenden Ich-Subjekt
hinzuweisen, das den Zudringlichkeiten und Nachstellungen besagten Sport-
genres ausgeliefert ist; Horváth erweitert buchstäblich das Repertoire literari-
scher Faustkampf-Imagination. Die sportiven Zusammenhänge erscheinen in
Der Faustkampf, das Harfenkonzert und die Meinung des lieben Gottes schließlich
geradezu personifiziert: „! k. o. !! k. o. !!! heulten grelle Plakate in die Stadt; und
der eines überhörte, dem sprangen drei ins Gesicht: ! k. o. !! k. o. !!!“496 Eine
anonyme Erzählerstimme resümiert in Der Faustkampf, das Harfenkonzert und
die Meinung des lieben Gottes die Überbewertung des Sportdenkens und kon-
frontiert den Athletikkult, der im Privaten wie auf öffentlichen Podien wirkt,
mit einer Alltagspraxis, in der Sport eine superiore Bedeutung besitzt: „Und
nur ein einziges Zeitschriftlein wagte zu widersprechen; aus eines schwind-
süchtigen Buchladens schmalbrüstiger Auslage wisperte sein fadenscheiniges
490 Horváth 1988d, S. 21
491 Ebd.
492 Vgl. ebd.
493 Ebd.
494 Ebd.
495 Ebd.
496 Horváth 1988c, S. 7
232 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440