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Stimmlein: Harfenkonzert --- Harfenkonzert […].“497 Die Dominanz des Bo-
xens lässt sich kaum in prägnantere Sprachbilder fassen: gepolsterte Faust versus
freies Fingerspiel; Drauflosschlagen kontra Saitenzupfen. Das „Zeitschriftlein“
steht auf verlorenem Posten, weil Boxen im Brennpunkt der Beachtung steht.
Die dichotomische Situation von kollektiver Anteilnahme und dem vergebli-
chen Bemühen individueller Abgrenzung, die Horváth vor dem Horizont einer
boxsportlich fanatisierten, das Sporttreiben glorifizierenden Öffentlichkeit ent-
faltet, erzeugt komische Konstellationen, welche die extremen Pendelausschläge
in der öffentlichen Wahrnehmung des Boxens ad absurdum führen:
Tausende gingen vorbei bis einer [das Zeitschriftlein] hörte; und das war ein
grauer grober Mann, der sogleich stehen blieb;
auf seine niedere Stirne zogen fins-
tere Falten und aus seiner Tasche quoll ein großer gelber Zettel, den er knurrend
auf das Fenster der Auslage klebte;
und der Zettel brüllte bereits kaum die Scheibe
berührend derart durchdringend, daß Männlein und Weiblein von weitumher zu-
sammenliefen: ! k. o. !! k. o. !!!498
Horváth entlarvt Boxen als Konstrukt gesellschaftlicher und medialer Konst-
ruktionen, als eine ins Gigantische strebende Produktionsmaschinerie serieller
Sensationen. Bald bildet sich in Der Faustkampf, das Harfenkonzert und die Mei-
nung des lieben Gottes die Erkenntnis der Unmöglichkeit heraus, sich dem Sog
des Boxens zu entziehen:
Da verstummte das Zeitschriftlein, denn nun schwand auch seine letzte Hoff-
nung;
und in dem Schatten, den das tobende Plakat auf sein kleines Titelblatt warf,
ward es sich klar, daß seine Sache im Sterben sei. Und es schlich aus der Auslage,
riß sich in Stücke und erhängte sich an einem gewissen Orte.499
Die Funktion des Märchenhaften erzeugt Unwirklichkeit, durch die sich spezi-
fische Formen der zeitgenössischen Lebenswelt abbilden lassen: Die unbedingte
Hingabe an Sport und Boxen erscheint als Gegenstand modellhaft figuriert und
damit im Kern nachvollziehbar, ganz im Gegensatz zu den Deformationsver-
suchen des Satirischen. Die Ringbrüder „Magenschwinger-links“ und „Magen-
schwinger-rechts“500 präsentieren sich in Die beiden Magenschwinger deswegen
auch nicht als bloße Karikaturen und typisierte Kraftfiguren; auch wenn die
497 Ebd.
498 Ebd.
499 Ebd.
500 Vgl. Horváth 1988e, S. 45 233
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440