Seite - 257 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Mit Hilfe von Erika Fischer-Lichtes Überlegungen Ästhetik des Performati-
ven lassen sich die diskursiven Relationen von Boxen, Bühne, Publikum, Kör-
perlichkeit und Aufführungscharakter detaillierter nachvollziehen – auch wenn
in den Schriften der Berliner Theaterwissenschaftlerin kein Wort zum Thema
Boxen fällt.156 Zwischen boxsportlicher Athletik und bühnenbezogener Äs-
thetik – beides im Grunde „körperlich vollzogene Handlungen im Raum“157
–, lassen sich komplexe Beziehungen ausmachen; Boxen und Bühne teilen sich
Komponenten des je spezifisch Performativen158: Zur Ereignis- und Spekta-
kelhaftigkeit des Boxen tragen die „leibliche Ko-Präsenz“159 von Publikum und
Athleten ebenso bei wie der architektonisch-geometrische Raum, die flüchtige
Materialität des Körperlichen, die „Lautlichkeit“160, die bestimmten Auffüh-
rungsaspekten „zu ungeahnten Ausmaßen“161 verhilft, dazu das „Verhältnis von
Planung und Emergenz“162 sowie das Faktum der Zeitlichkeit, das den „Verlauf
der Aufführung hervor- und wieder zum Verschwinden“163 bringt. Auch Boxen
hat „physiologische, affektive, energetische und motorische Reaktionen der Be-
teiligten“164 zur Folge und weist „sowohl Züge eines Rituals als auch eines Spek-
takels“165 auf. „Der performative Raum ist immer zugleich ein atmosphärischer
Raum.“166 Brecht schließt die Bereiche Bühne, Publikum und (erweitertes) Rin-
gumfeld diskursiv kurz. In Mehr guten Sport konstatiert er:
Unsere Hoffnung gründet sich auf das Sportpublikum. Unser Auge schielt, verber-
gen wir es nicht, nach diesen ungeheuren Zementtöpfen, gefüllt mit 15 000 Men-
xer usw. ist, ist i. a. Oper und Indianerspiel.“ (vgl. Musil 2009, Transkriptionen & Faksimiles,
Nachlass Mappen, Mappengruppe VII, Mappe VII/10) Fünf Jahre darauf, 1927, findet sich auf
Blatt 16 der sogenannten Anders-Einzelblätter die Feststellung: „Oper u. Manöver = Boxen“ (vgl.
Musil 2009, Transkriptionen & Faksimiles, Nachlass Mappen, Mappengruppe II, Mappe II/4)
156 Vgl. Fischer-Lichte 2004; Fischer-Lichte 2012; zumindest indirekt kommt Erika Fischer-Lich-
te auf den Faustkampf zu sprechen: „Einen […] kulturellen Bereich, in dem Selbstverletzun-
gen und -gefährdungen akzeptiert sind“, so die Autorin, „bilden die Jahrmarktsspektakel.“ (Fi-
scher-Lichte 2004, S. 14)
157 Fischer-Lichte 2012, S. 54
158 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Fischer-Lichte 2012, S. 54–85, und Fi-
scher-Lichte 2004, S. 63–318
159 Fischer-Lichte 2012, S. 54
160 Ebd., S. 62
161 Ebd.
162 Ebd., S. 76
163 Fischer-Lichte 2004, S. 227; vgl. ebd., S. 227–239
164 Fischer-Lichte 2004, S. 29
165 Ebd., S. 35
166 Ebd., S. 200 257
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440