Seite - 262 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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In der dritten Runde trifft die Lanze des Schwarzen Ritters, die darauf abbricht,
Maschner. Gehherda führt den Kampf als Boxer fort, dem das Verhältnis von
Wirklichkeit und Möglichkeit abhandengekommen scheint:
Der Schwarze Ritter schlägt mit der eisernen Faust nach dem Gast Maschner. Sie
beginnen zu raufen. Unterdessen beginnen unter ihnen die Pferde miteinander zu
sprechen.
Der Restaurateur beschwörend: Entschuldigen Sie, meine Herren! Der Mann wird
selbstverständlich entlassen. Mein Personal ist den Gästen gegenüber zu strengster
Reserve verpflichtet. […]
Der erste Kellner … O Sommer 27!
Der Schwarze Ritter hat den Gast Maschner mit einem furchtbaren Streich vom
Pferde geschlagen. Allgemeine Bewegung. Gongschlag, nachdem der Schiedsrichter
ihn ausgezählt hat. Der Schankkellner und der Schiedsrichter schleppen den Gefal-
lenen seitwärts und befestigen ihn mit einem Strick an dem Schweif des Rappen.
[…]
Die Zuschauer Er schleift ihn zu Tode! Er gibt keinen Pardon! Armer, leichtsinni-
ger Mensch! Dabei ist er ein hübscher Junge.196
Der Schwarze Ritter erweist sich als gnädig. Er verpflichtet seinen unterlege-
nen Konkurrenten, Sylvia zu heiraten; kurz darauf wird er von zwei Herren des
Ladendiebstahls angeklagt und verhaftet.197Am Ende stolpert der Ritter in den
Tod. Die physiognomische Großfigur des Boxers befindet sich im Taumeln und
Hinfallen. Brecht entzieht dem Champion sein mythisches Substrat:
Der schwarze Ritter Elende Krämer. Um des schönen Mammons willen hetzt ihr die
Menschen, aber der schwarze Ritter wird euch nicht in die schmutzigen Hände fal-
len. Nie! Nie! Nie! Er stößt sich den Dolch durch den Brustpanzer und sinkt zusammen.198
Brecht beschreibt Boxen als ein Wechselspiel von Bühnengeschehen, Sportak-
teuren, Zuschauern, Licht- und Lärmregien; er tariert das Verhältnis zwischen
modernem Sport und traditionellem Theater dabei neu aus, indem er den Blick
vom eigentlichen Geschehen im Ring in die Peripherie lenkt. Mit Brecht lässt
sich das „heuristische und kommunikative Potential der Boxkampf-Öffentlich-
keit“199 als ausdifferenziertes soziales Handlungsfeld betrachten. Auf einem
196 Ebd., S. 739 (Hervorh. im Orig.)
197 Vgl. Brecht 1997d, S. 741
198 Ebd. (Hervorh. im Orig.)
199 Junghanns 1998, S. 58
262 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440